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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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schändlichen Menschen nicht besonders reden und es wäre nicht der Mühe wert, sich mit ihm aufzuhalten, wenn sich nicht eine empörende Geschichte zugetragen hätte, bei der er, wie behauptet wird, ebenfalls beteiligt war; diese Geschichte aber kann ich in meiner geschichtlichen Darstellung unmöglich übergehen.
    Eines Morgens lief durch die ganze Stadt die Kunde von einem unerhörten, abscheulichen Religionsfrevel. Am Eingange zu unserm großen Marktplatze steht eine alte Kirche zu Mariä Geburt, ein bemerkenswertes Altertumsdenkmal in unserer altertümlichen Stadt. Neben dem Tore der Umfassungsmauer ist seit alter Zeit ein großes Bild der Muttergottes angebracht; es ist hinter einem Gitter in die Mauer eingefügt. Dieses Bild war in der Nacht beraubt worden, das davor befindliche Glas zerschlagen, das Gitter zerbrochen, und aus der Krone sowie aus der Einfassung des Bildes waren mehrere Edelsteine und Perlen entwendet; ob sehr wertvolle, weiß ich nicht. Aber die Hauptsache war, daß außer dem Diebstahl auch sinnloser, spöttischer Religionsfrevel begangen war: hinter dem zerschlagenen Glase des Heiligenbildes wurde, wie man sagt, am Morgen eine lebende Maus gefunden. Es ist jetzt, vier Monate nach dem Ereignisse, positiv bekannt, daß das Verbrechen von dem Sträfling Fedka begangen war; aber aus irgendwelchem Grunde ist man zu der Annahme gelangt, daß auch Ljamschin dabei beteiligt war. Damals sprach niemand von Ljamschin, und man hatte überhaupt keinen Verdacht auf ihn; aber jetzt behaupten alle, daß er es gewesen sei, der damals die Maus hineingesetzt habe. Ich erinnere mich, daß unsere gesamte Obrigkeit ein wenig den Kopf verloren hatte. Das Volk drängte sich vom Morgen an bei dem Orte des Verbrechens zusammen. Beständig stand ein großer Haufe da, Gott weiß was alles für Menschen, aber an Zahl gewiß gegen hundert. Die einen kamen hinzu, die andern gingen wieder weg. Die Leute traten heran, bekreuzten sich und küßten das heilige Bild; sie begannen, Spenden zu geben, und es erschien ein Opferbecken und bei dem Opferbecken ein Mönch, und erst um drei Uhr nachmittags kam die Behörde auf den Gedanken, daß man dem Volke befehlen könne, es solle nicht in einem Haufen stehen bleiben, sondern jeder solle, nachdem er gebetet, das Bild geküßt und seine Spende gegeben habe, weitergehen. Auf Herrn v. Lembke übte dieser unglückliche Vorfall die traurigste Wirkung aus. Wie mir erzählt wurde, äußerte Julija Michailowna später, sie habe seit diesem unseligen Morgen an ihrem Gatten jene seltsame Niedergeschlagenheit bemerkt, die dann bei ihm ununterbrochen fortdauerte, bis er vor zwei Monaten krankheitshalber aus unserer Stadt wegreiste, und die ihn, wie es scheint, auch jetzt in der Schweiz noch nicht verlassen hat, wo er sich nach seiner kurzen Amtstätigkeit in unserm Gouvernement immer noch erholt.
    Wie ich mich erinnere, kam ich damals zwischen zwölf und ein Uhr mittags auf den Marktplatz; die Menge verhielt sich schweigsam und machte ernste, finstere Gesichter. In einem Wagen kam ein feister Kaufmann mit gelblicher Gesichtsfarbe herbeigefahren, stieg aus, verbeugte sich bis zur Erde, küßte das Bild, opferte einen Rubel, stieg ächzend wieder in seine Equipage und fuhr davon. Auch eine Kutsche mit zweien unserer Damen kam gefahren, in deren Begleitung sich zwei unserer Taugenichtse befanden. Die jungen Leute (von denen der eine ganz und gar nicht mehr jung war) stiegen gleichfalls aus und drängten sich, das Volk ziemlich geringschätzig zur Seite schiebend, zu dem Heiligenbilde durch. Beide behielten die Hüte auf dem Kopfe, und der eine setzte sich sein Pincenez auf die Nase. In der Menge wurde gemurrt, allerdings nur leise, aber es klang doch recht unfreundlich. Der junge Mann mit dem Pincenez entnahm seinem Portemonnaie, das dick mit Banknoten vollgestopft war, eine kupferne Kopeke und warf sie in das Opferbecken; dann kehrten beide lachend und laut redend zu der Kutsche zurück. In diesem Augenblicke sprengte, von Mawriki Nikolajewitsch begleitet, Lisaweta Nikolajewna herbei. Sie sprang vom Pferde, warf den Zügel ihrem Begleiter zu, der auf ihre Weisung bei dem Pferde blieb, und trat zu dem Heiligenbilde gerade zu der Zeit heran, als die Kopeke in das Becken geworfen wurde. Die Röte des Unwillens übergoß ihre Wangen; sie nahm ihren Zylinderhut ab, zog die Handschuhe aus, fiel vor dem Heiligenbilde einfach auf dem schmutzigen Trottoir auf die Knie und verbeugte sich andächtig

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