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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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dreimal bis zur Erde. Dann zog sie ihr Portemonnaie aus der Tasche; aber da sie darin nur ein paar Zehnkopekenstücke fand, so nahm sie ohne zu zaudern ihre Brillantohrringe aus den Ohren und legte sie in das Becken.
    »Ist das zulässig? Ja? Zur Ausschmückung der Einfassung?« fragte sie in starker Aufregung den Mönch.
    »Gewiß, es ist zulässig,« antwortete dieser. »Jede Gabe ist nützlich.«
    Das Volk schwieg und brachte weder Mißfallen noch Billigung zum Ausdruck. Lisaweta Nikolajewna stieg in ihrem beschmutzten Kleide wieder zu Pferde und ritt davon.
     
II.
     
    Zwei Tage nach dem soeben erzählten Ereignisse begegnete ich ihr in einer zahlreichen Gesellschaft, die in drei Wagen fuhr und von Reitern umgeben war. Sie winkte mich mit der Hand heran, ließ den Wagen halten und bat mich dringend, ich möchte mich doch der Gesellschaft anschließen. In der Equipage fand sich ein Platz für mich; sie stellte mich lachend ihren Begleiterinnen, reich gekleideten Damen, vor und erklärte mir, sie begäben sich alle auf eine außerordentlich interessante Expedition. Sie lachte laut und schien überaus glücklich zu sein. In der letzten Zeit hatte sich ihrer eine an Ausgelassenheit grenzende Fröhlichkeit bemächtigt. Das Unternehmen war in der Tat exzentrisch: alle wollten sich über den Fluß nach dem Hause des Kaufmanns Sewastjanow begeben, bei dem in einem Nebengebäude schon seit etwa zehn Jahren in Ruhe, Zufriedenheit und Behaglichkeit unser gottbegnadeter Prophet Semjon Jakowlewitsch lebte, der nicht nur bei uns, sondern auch in den angrenzenden Gouvernements und sogar in den Hauptstädten wohlbekannt war. Alle möglichen Leute, namentlich Fremde, besuchten ihn, um aus seinem Munde ein ihm von Gott eingegebenes Wort zu hören, ihm ihre Verehrung zu bezeigen und eine Geldspende zu opfern. Die mitunter sehr beträchtlichen Opfergaben wurden, wenn Semjon Jakowlewitsch nicht sofort selbst darüber verfügte, frommerweise einer Kirche überwiesen, vorzugsweise unserem Bogorodski-Kloster; zu diesem Zwecke hatte das Kloster die Einrichtung getroffen, daß beständig ein Mönch bei Semjon Jakowlewitsch Dienst hatte. Alle erwarteten ein großes Amüsement. Keiner von dieser Gesellschaft hatte bisher Semjon Jakowlewitsch gesehen. Nur Ljamschin war früher einmal bei ihm gewesen und erzählte jetzt, dieser habe befohlen, ihn mit einem Besen wegzujagen, und ihm eigenhändig zwei große gekochte Kartoffeln nachgeworfen. Unter den Reitern bemerkte ich auch Peter Stepanowitsch, wieder auf einem gemieteten Kosakenpferde, auf dem er sich sehr schlecht hielt, und Nikolai Wsewolodowitsch, ebenfalls zu Pferde. Dieser schloß sich manchmal von den gemeinsamen Vergnügungen nicht aus, zeigte bei solchen Gelegenheiten immer, wie es der Anstand gebot, eine heitere Miene, redete aber wie früher nur selten und nur wenig. Als die Kavalkade auf dem abwärtsführenden Wege sich der Brücke näherte und zu einem Gasthause gelangte, machte jemand plötzlich die Mitteilung, daß in einem Logierzimmer des Gasthauses soeben ein Fremder gefunden sei, der sich erschossen habe; man warte jetzt auf die Polizei. Sofort wurde der Gedanke ausgesprochen, man solle sich den Selbstmörder ansehen. Dieser Gedanke wurde beifällig aufgenommen: unsere Damen hatten noch nie einen Selbstmörder gesehen. Ich erinnere mich, daß eine derselben sogleich laut äußerte, alles sei schon so langweilig geworden, daß man keine Zerstreuung von der Hand weisen dürfe, wenn sie nur interessant sei. Nur wenige blieben vor der Haustür und warteten; die übrigen betraten in dichtem Schwarme den unsauberen Flur, und unter ihnen erblickte ich zu meiner Verwunderung auch Lisaweta Nikolajewna. Das Zimmer des Selbstmörders stand offen, und natürlich wagte niemand, uns den Eintritt zu verwehren. Es war ein noch sehr junger Mensch, etwa neunzehnjährig, jedenfalls nicht älter, von sehr hübschem Äußeren, mit vollem, blondem Haar, regelmäßiger, ovaler Gesichtsbildung und reiner, schöner Stirn. Er war schon starr geworden, und sein blasses Gesicht sah aus wie aus Marmor gemeißelt. Auf dem Tische lag ein von ihm geschriebener Zettel, man möge niemandem die Schuld an seinem Tode beimessen; er habe sich erschossen, weil er vierhundert Rubel »verjeudet« habe. Das Wort »verjeudet« stand so auf dem Zettel; in den vier Zeilen, die derselbe enthielt, steckten drei orthographische Fehler. Neben dem Toten stand ächzend und stöhnend ein dicker Gutsbesitzer, der wohl in

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