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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Diskretion, als ob sie etwas verheimlichen wollten, irgendeine Schwäche desselben, vielleicht, daß er ein religiöser Irrer sei. Nikolai Wsewolodowitsch hatte erfahren, daß er schon etwa sechs Jahre lang im Kloster lebe, und daß sowohl Leute aus dem niedersten Volke als auch Personen von vornehmster Lebensstellung zu ihm kämen; ja sogar in dem fernen Petersburg habe er glühende Verehrer und ganz besonders Verehrerinnen. Andererseits hatte er von einem Mitgliede unseres Klubs, einem sehr angesehenen alten Herrn, übrigens einem sehr frommen Herrn, auch eine solche Auskunft erhalten: dieser Tichon sei beinah verrückt und zweifellos ein Trinker. Ich füge meinerseits vorgreifend hinzu, daß das Letztere entschieden Unsinn war; Tichon litt nur an einem veralteten rheumatischen Übel in den Beinen und zeitweilig an nervösen Krämpfen. Nikolai Wsewolodowitsch hatte auch erfahren, daß dieser im Ruhestande lebende Bischof, sei es nun infolge seiner Charakterschwäche oder infolge »einer unverzeihlichen und seinem Range nicht anstehenden Zerstreutheit«, es nicht verstanden habe, im Kloster selbst einen besonderen Respekt vor sich zu erwecken. Man sagte, daß der Vater Archimandrit, ein finsterer, in bezug auf seine Aufseherpflichten strenger und überdies durch seine Gelehrsamkeit berühmter Mann, sogar eine feindselige Gesinnung gegen ihn hege und ihm (nicht ins Gesicht, aber anderen gegenüber) einen lässigen Lebenswandel und beinah Ketzerei vorwerfe. Die Klosterbrüderschaft aber benahm sich ebenfalls gegen den kranken hochwürdigen Herrn wenn auch nicht gerade geringschätzig, so doch sozusagen familiär. Die beiden Zimmer, aus denen Tichons Wohnung im Kloster bestand, waren gleichfalls etwas seltsam ausgestattet. Neben plumpen, altertümlichen Möbeln mit abgescheuerten Lederbezügen standen einige elegante Stücke: ein sehr kostbarer, bequemer Lehnstuhl, ein großer Schreibtisch von vorzüglicher Arbeit, ein elegant geschnitzter Bücherschrank, Tischchen, Etagèren, selbstverständlich lauter Geschenke. Auch ein wertvoller bucharischer Teppich lag da, neben ihm aber gewöhnliche Bastmatten. Es waren Stiche vorhanden, auf denen »weltliche« Sujets, auch aus dem mythologischen Zeitalter, dargestellt waren, zugleich aber in der Ecke ein großer Heiligenschrein mit Heiligenbildern, die von Gold und Silber glänzten, darunter ein aus sehr alter Zeit stammendes mit Reliquien. Auch die Bibliothek war, wie man sagte, gar zu buntscheckig und widerspruchsvoll zusammengesetzt: neben den Werken der großen Lehrer und Helden des Christentums fanden sich da »Theaterstücke und Romane, ja vielleicht sogar noch Ärgeres«.
    Nach den ersten Begrüßungen, die aus nicht recht ersichtlichem Grunde von beiden Seiten in offenbarer Verlegenheit eilig und sogar unverständlich gesprochen wurden, führte Tichon den Besucher in sein Wohnzimmer und veranlaßte ihn, immer noch wie in Eile, auf dem Sofa Platz zu nehmen; er selbst setzte sich neben ihn auf einen Lehnstuhl mit Rohrgeflecht. Da verlor Nikolai Wsewolodowitsch in erstaunlicher Weise vollständig die Fassung. Er machte den Eindruck, als suche er sich aus aller Kraft zu etwas Außerordentlichem und unstreitig Richtigem, zugleich aber für ihn fast Unmöglichem zu entschließen. Er blickte etwa eine Minute lang im Zimmer umher, offenbar aber ohne daß er das, worauf er seine Augen richtete, gesehen hätte; er versank in Gedanken, aber vielleicht ohne zu wissen, woran er dachte. Das Stillschweigen brachte ihn zur Besinnung, und es kam ihm auf einmal so vor, als schlage Tichon die Augen beschämt zu Boden und lächle dabei in einer ganz unmotivierten Weise. Dies rief bei ihm augenblicklich Widerwillen und Entrüstung hervor; er wollte aufstehen und weggehen; seiner Meinung nach war Tichon entschieden betrunken. Aber dieser hob plötzlich die Augen in die Höhe und sah ihn mit einem so festen, gedankenvollen Blicke und zugleich mit einem so unerwarteten, rätselhaften Ausdruck an, daß er beinah zusammenfuhr. Und da kam er auf einmal zu einer ganz anderen Auffassung: Tichon wisse schon, warum er gekommen sei; er sei davon schon vorher benachrichtigt worden (obgleich auf der ganzen Welt niemand diesen Grund wissen konnte), und wenn er nicht selbst als erster das Gespräch beginne, so unterlasse er das nur aus Schonung für ihn, um ihn nicht zu demütigen.
    »Sie kennen mich?« fragte er plötzlich kurz. »Habe ich mich, als ich hereinkam, vorgestellt oder nicht? Entschuldigen

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