Die Dämonen
lehren dementsprechend; überall maßlose Hoffart, unerhörte, viehische Begierde ... Wissen Sie, wissen Sie, wie viele wir schon allein durch unsere gebrauchsfertigen Ideen für uns gewinnen? Als ich abreiste, grassierte die Littrésche These, das Verbrechen sei Wahnsinn; jetzt, wo ich wiederkomme, ist das Verbrechen nicht mehr Wahnsinn, sondern geradezu ein gesunder Gedanke, beinah eine Pflicht, wenigstens ein edler Protest. ›Na, warum soll denn ein geistig hochentwickelter Mörder nicht morden, wenn er Geld braucht!‹ Aber das sind nur kleine, unbedeutende Beispiele. Der russische Gott retiriert sich schon vor dem Fusel. Das Volk ist betrunken, die Mütter sind betrunken, die Kinder sind betrunken, die Kirchen sind leer, und in den Gerichten heißt es: ›Zweihundert Rutenhiebe, oder schleppe einen Eimer Schnaps herbei!‹ Oh, lassen Sie nur diese Generation heranwachsen! Nur schade, daß wir keine Zeit haben zu warten; sonst könnten wir die Trunksucht noch mehr um sich greifen lassen! Ach, wie schade, daß es keine Proletarier gibt! Aber es wird welche geben, es wird welche geben; es wird dazu kommen ...«
»Schade auch, daß wir dumm geworden sind,« murmelte Stawrogin und setzte seinen Weg fort.
»Hören Sie, ich habe selbst ein sechsjähriges Kind gesehen, das seiner betrunkenen Mutter als Führer nach Hause diente, und die schimpfte auf das Kind mit unflätigen Ausdrücken. Sie können sich denken, daß ich mich darüber gefreut habe! Wenn das Kind in unsere Hände fällt, werden wir es vielleicht kurieren ... erforderlichenfalls treiben wir es auf vierzig Jahre in die Wüste ... Aber eine oder zwei Generationen der Demoralisation sind jetzt notwendig, einer unerhörten, grundgemeinen Demoralisation, wobei sich der Mensch in ein garstiges, feiges, grausames, selbstisches Scheusal verwandelt – das ist es, was wir nötig haben! Und dann noch etwas ›frisches Blut‹, damit er sich daran gewöhnt. Warum lachen Sie? Ich widerspreche mir nicht. Ich widerspreche nur den Philanthropen und dem Schigalewismus, aber nicht mir selbst! Ich bin ein Schurke und kein Sozialist. Ha-ha-ha! Nur schade, daß wir so wenig Zeit haben. Ich habe zu Karmasinow gesagt, wir würden im Mai anfangen und zu Mariä Fürbitte fertig sein. Ist das schnell? Ha-ha! Wissen Sie, was ich Ihnen sagen will, Stawrogin: im russischen Volke hat es bisher keine Schamlosigkeit gegeben, obwohl es mit schmutzigen Ausdrücken geschimpft hat. Wissen Sie wohl, daß dieser leibeigene Knecht seine Würde besser gewahrt hat als Karmasinow die seinige? Man hat ihn geprügelt; aber er hat seine Götter verteidigt, während Karmasinow das nicht getan hat.«
»Nun, Werchowenski, ich höre Sie zum erstenmal so reden und höre Sie mit Erstaunen,« sagte Nikolai Wsewolodowitsch. »Sie sind also geradezu kein Sozialist, sondern verfolgen ehrgeizige politische Pläne?«
»Ein Schurke bin ich, ein Schurke. Machen Sie sich Gedanken darüber, was ich für ein Mensch bin? Ich werde Ihnen sogleich sagen, was für einer ich bin; darauf steuere ich ja hin. Nicht ohne besonderen Grund habe ich Ihnen die Hand geküßt. Aber notwendigerweise muß auch das Volk die Überzeugung haben, daß wir wissen, was wir wollen, und daß die Gegner nur ›die Knittel schwingen und die Ihren treffen‹. Ach, hätten wir nur mehr Zeit! Das einzige Unglück ist, daß wir keine Zeit haben. Wir werden die Zerstörung proklamieren ... denn das ist wieder so eine bezaubernde Idee! Aber wir müssen die Gelenke geschmeidig machen. Wir werden Brandstiftungen veranlassen ... Wir werden Legenden in Umlauf setzen ... Dabei wird eine jede dieser räudigen ›Gruppen‹ von Nutzen sein können. Ich werde Ihnen in diesen selben Gruppen Jäger ausfindig machen, die jeden verlangten Schuß abzugeben bereit und obendrein noch für die Ehre dankbar sind. Na, und dann wird der Aufruhr beginnen! Ein Wackeln und Schwanken wird sich begeben, wie es die Welt noch nie gesehen hat ... Ein dunkler Nebel wird sich über Rußland breiten; das Land wird sich mit Tränen nach seinen alten Göttern zurücksehnen ... Na, und dann lassen wir ihn auftreten ... wen?«
»Nun wen denn?«
»Iwan, den Zarensohn.«
»We-en?«
»Iwan, den Zarensohn; Sie, Sie!«
Stawrogin dachte ein Weilchen nach.
»Einen Usurpator?« fragte er plötzlich, indem er den fanatischen Menschen in tiefem Staunen anblickte. »Ah, sieh da, endlich bekomme ich Ihren Plan zu hören!«
»Wir werden sagen, daß er ›sich verbirgt‹,« sagte
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