Die Dämonen
Sie, ich bin so zerstreut ...«
»Nein, Sie haben sich nicht vorgestellt; aber ich hatte schon vor etwa vier Jahren einmal das Vergnügen, Sie zu sehen, hier im Kloster ... zufällig.«
Tichon sprach sehr ruhig und gleichmäßig, mit weicher Stimme und mit klarer, deutlicher Aussprache jedes Wortes.
»Ich bin vor vier Jahren nicht in dem hiesigen Kloster gewesen,« erwiderte Nikolai Wsewolodowitsch in einem groben Tone, zu dem kein Anlaß vorlag. »Ich bin hier nur als kleines Kind gewesen, als Sie noch gar nicht hier waren.«
»Vielleicht haben Sie es vergessen?« fragte Tichon vorsichtig und ohne auf seiner Meinung zu bestehen.
»Nein, ich habe es nicht vergessen; und es wäre auch komisch, wenn ich mich dessen nicht erinnerte,« antwortete Stawrogin, der seinerseits mit übermäßiger Hartnäckigkeit seine Behauptung aufrecht erhielt. »Sie haben vielleicht nur etwas über mich gehört und sich danach irgendwelche Vorstellung von mir gebildet und meinen daher irrtümlich, Sie hätten mich mit eigenen Augen gesehen.«
Tichon schwieg. In diesem Augenblick bemerkte Nikolai Wsewolodowitsch, daß über sein Gesicht manchmal ein nervöses Zucken ging, ein Symptom einer alten Neurasthenie.
»Ich sehe aber, daß Sie heute nicht wohl sind,« sagte er; »es wäre wohl das beste, wenn ich wegginge.«
Er machte sogar schon Miene aufzustehen.
»Ja, ich fühle heute und gestern starke Schmerzen in den Beinen und habe die Nacht wenig geschlafen ...«
Tichon hielt inne. Sein Besucher war plötzlich in eine unerklärliche Art von Versunkenheit geraten. Das Schweigen dauerte lange, ungefähr zwei Minuten.
»Sie haben mich soeben beobachtet?« fragte er auf einmal unruhig und argwöhnisch.
»Ich sah Sie an und mußte dabei an die Gesichtszüge Ihrer Mutter denken. Trotz der äußeren Unähnlichkeit ist doch viel innere, geistige Ähnlichkeit vorhanden.«
»Es ist gar keine Ähnlichkeit vorhanden, besonders keine geistige. Absolut keine!« regte sich Nikolai Wsewolodowitsch wieder unnötigerweise auf; er bewies dabei einen übermäßigen Eigensinn, für den er selbst keinen Grund wußte. »Sie sagen das nur so ... aus Mitleid mit meiner Lage,« entfuhr es ihm plötzlich. »Aber besucht meine Mutter Sie etwa?«
»Ja.«
»Das habe ich nicht gewußt. Das hat sie mir nie gesagt. Kommt sie oft zu Ihnen?«
»Fast jeden Monat, auch häufiger.«
»Niemals habe ich das gehört, niemals. Ich habe es nie gehört.« Er schien sich über diese Tatsache gewaltig aufzuregen. »Da haben Sie gewiß von ihr gehört, daß ich verrückt sei,« platzte er wieder heraus.
»Nein, das eigentlich nicht. Übrigens habe ich auch diese Vermutung gehört, aber von anderer Seite.«
»Sie haben offenbar ein sehr gutes Gedächtnis, wenn Sie solche Torheiten haben behalten können. Haben Sie denn auch von der Ohrfeige gehört?«
»Ja, etwas habe ich davon gehört.«
»Das heißt alles. Sie müssen furchtbar viel Zeit haben, um all so etwas anzuhören. Haben Sie auch von dem Duell gehört?«
»Ja, auch davon.«
»Na, da brauchen Sie keine Zeitungen. Hat Schatow Sie davon vorher benachrichtigt, daß ich zu Ihnen kommen würde?«
»Nein. Ich kenne Herrn Schatow allerdings, habe ihn aber schon lange nicht gesehen.«
»Hm ... Was haben Sie denn da für eine Karte? Ah, eine Karte des letzten Krieges! Wozu haben Sie die denn?«
»Ich habe diese Geschichte des Krieges hier mit Benutzung der Landkarte gelesen. Es ist eine sehr interessante Darstellung.«
»Zeigen Sie mal her; ja, die Darstellung ist nicht übel. Aber für Sie ist das doch eine sonderbare Lektüre.«
Er hatte das Buch zu sich herangezogen und flüchtig hineingeblickt. Es war eine ausführliche und geschickte Darstellung der Ereignisse des letzten Krieges, geschickt übrigens nicht sowohl in militärischer als in rein stilistischer Hinsicht. Nachdem er das Buch ein Weilchen in den Händen hin und her gedreht hatte, warf er es plötzlich ungeduldig wieder hin.
»Ich weiß schlechterdings nicht, wozu ich hierher gekommen bin,« sagte er mißmutig, indem er Tichon gerade in die Augen blickte, als erwarte er von diesem eine Antwort.
»Sie scheinen ebenfalls nicht sehr gesund zu sein.«
»Vielleicht bin ich es auch nicht.«
Und plötzlich erzählte er (jedoch in ganz kurzen, abgerissenen Worten, so daß manches nur schwer zu verstehen war), er leide, namentlich nachts, an einer Art von Halluzinationen; manchmal sehe er oder fühle er neben sich ein boshaftes, spöttisches, »kluges«
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