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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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nicht versetzen.«
    »›Vielleicht‹? Na, auch das ist nicht übel. Also zweifeln Sie immer noch?«
    »Ja, wegen der Unvollkommenheit meines Glaubens zweifle ich.«
    »Wie? Auch Ihr Glaube ist unvollkommen?«
    »Ja ... vielleicht glaube auch ich nicht in vollkommener Weise,« antwortete Tichon.
    »Das hätte ich wahrhaftig nicht gedacht, wenn ich Sie so ansehe!« Er betrachtete ihn mit einer gewissen Verwunderung, die jetzt durchaus ehrlich war, was zu dem spöttischen Tone der vorhergehenden Fragen durchaus nicht stimmte.
    »Na, aber Sie glauben doch, daß Sie ihn wenigstens mit Gottes Hilfe versetzen werden; auch das ist ja nicht wenig. Mindestens wollen Sie es glauben. Und den Berg fassen Sie buchstäblich auf. Ein gutes Prinzip. Ich habe die Beobachtung gemacht, daß die Koryphäen unter unseren Leviten stark zum Luthertum neigen. Das ist immerhin mehr als das
›très peu‹
eines anderen Bischofs, der allerdings einen geschwungenen Säbel über seinem Kopfe sah. Sie sind gewiß auch ein Christ.« Stawrogin sprach schnell. In bunter Mischung kamen bald ernste, bald spöttische Worte aus seinem Munde.
    »Deines Kreuzes, Herr, werde ich mich nicht schämen,« sagte Tichon leise, in einer Art von leidenschaftlichem Flüsterton, und neigte den Kopf noch tiefer hinab.
    »Aber kann man an den Teufel glauben, ohne an Gott zu glauben?« fragte Stawrogin spöttisch.
    »O, das ist sehr wohl möglich; das begegnet einem auf Schritt und Tritt,« antwortete Tichon, indem er aufblickte und lächelte.
    »Und ich bin überzeugt, daß Sie einen solchen Glauben immer noch für ehrenwerter erachten als den vollständigen Unglauben,« rief Stawrogin laut lachend.
    »Keineswegs; der völlige Atheismus ist ehrenwerter als die weltliche Gleichgültigkeit,« antwortete Tichon, anscheinend heiter und treuherzig.
    »Oho, das ist ja eine interessante Ansicht von Ihnen!«
    »Der vollkommene Atheist steht auf der zweithöchsten Stufe vor dem vollkommensten Glauben (mag er nun die letzte Stufe noch hinansteigen oder nicht); der Gleichgültige aber hat gar keinen Glauben mehr, sondern nur eine üble Furcht, und auch die nur mitunter, wenn er nämlich ein sensibler Mensch ist.«
    »Hm ... haben Sie die Offenbarung Johannis gelesen?«
    »Ja.«
    »Erinnern Sie sich an die Stelle: ›Schreibe dem Engel der Gemeinde zu Laodicea ...‹?«
    »Ja.«
    »Wo haben Sie ein Neues Testament?« fragte Stawrogin in seltsamer Hast und Erregung und suchte mit den Augen das Buch auf dem Tische. »Ich möchte Ihnen die Stelle vorlesen ... Haben Sie eine russische Übersetzung?«
    »Ich kenne die Stelle; ich erinnere mich,« rief Tichon.

    »Können Sie sie auswendig? Dann sagen Sie sie her ...«
    Er schlug schnell die Augen nieder, stützte beide Handflächen auf die Knie und schickte sich voller Ungeduld an zuzuhören. Tichon sagte aus dem Gedächtnisse die Stelle Wort für Wort her:
    »›Und dem Engel der Gemeinde zu Laodicea schreibe: Das saget Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Kreatur Gottes: Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist. Ach, daß du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts, und weißt nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß ...‹«
    »Genug!« unterbrach ihn Stawrogin. »Wissen Sie, ich liebe Sie sehr.«
    »Ich Sie ebenfalls,« erwiderte Tichon halblaut.
    Stawrogin verstummte und verfiel auf einmal wieder in die vorige Versunkenheit. Das geschah wie infolge eines Anfalles nun schon zum drittenmal. Auch daß er zu Tichon gesagt hatte: »Ich liebe Sie,« war beinahe in einem Anfalle geschehen, wenigstens war er selbst dadurch überrascht worden, daß er es gesagt hatte. Es verging mehr als eine Minute.
    »Seien Sie nicht zornig!« flüsterte Tichon und berührte Stawrogin leise und anscheinend schüchtern mit den Fingern am Ellenbogen.
    Der fuhr zusammen und runzelte ärgerlich die Stirn.
    »Woher haben Sie gewußt, daß ich zornig geworden war?« fragte er schnell. Tichon wollte etwas erwidern; aber der andere unterbrach ihn plötzlich in unverständlicher Erregung.
    »Warum haben Sie denn eigentlich angenommen, daß ich sicher zornig sein müsse? Ja, ich war zornig, Sie haben recht, und gerade deswegen, weil ich zu Ihnen gesagt hatte: ›Ich liebe Sie.‹ Sie haben recht; aber Sie sind ein grober Zyniker; Sie denken niedrig von der menschlichen

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