Die Dämonen
Natur. Es war auch möglich, daß kein Zorn da war, wenn nur ein anderer Mensch da saß und nicht ich ... Indessen handelt es sich nicht um die Menschen überhaupt, sondern um mich. Aber Sie sind ein wunderlicher Kauz und ein religiöser Irrer ...«
Er geriet immer mehr in eine gereizte Stimmung hinein und legte sich seltsamerweise in der Wahl seiner Ausdrücke keinen Zwang auf:
»Hören Sie mal, ich kann Spione und Psychologen nicht leiden, wenigstens nicht solche, die sich in meine Seele einschleichen. Ich fordere niemand auf, in meine Seele einzudringen; ich habe niemand nötig; ich verstehe es, allein mit mir fertig zu werden. Sie glauben, ich fürchte mich vor Ihnen,« fuhr er mit lauterer Stimme fort und hob herausfordernd das Gesicht in die Höhe; »Sie sind völlig davon überzeugt, daß ich hergekommen bin, um Ihnen ein ›furchtbares‹ Geheimnis zu enthüllen, und warten auf dieses mit aller mönchischen Neugier, deren Sie fähig sind. Na, so mögen Sie denn wissen, daß ich Ihnen nichts enthüllen werde, kein Geheimnis, weil ich auch ohne Ihre Hilfe mit mir vollständig fertig zu werden imstande bin ...«
Tichon blickte ihn fest an:
»Es hat auf Sie Eindruck gemacht, daß das Lamm eher den Kalten liebt als den nur Lauen,« sagte er; »Sie wollen nicht ein nur Lauer sein. Ich ahne, daß Sie eine Absicht von besonderer Art hegen, vielleicht eine schreckliche Absicht. Ich beschwöre Sie, quälen Sie sich nicht lange, und sagen Sie alles!«
»Und Sie haben zuverlässig gewußt, daß ich mit irgendwelcher Absicht hergekommen bin?«
»Ich ... habe es erraten,« flüsterte Tichon mit niedergeschlagenen Augen.
Nikolai Wsewolodowitsch war etwas blaß, und seine Hände zitterten ein wenig. Einige Sekunden lang blickte er regungslos und schweigend vor sich hin, als ob er einen endgültigen Entschluß fassen wolle. Endlich zog er aus der Seitentasche seines Rockes einige bedruckte Bogen Papier heraus und legte sie auf den Tisch.
»Hier sind ein paar Bogen, die zur Veröffentlichung bestimmt sind,« sagte er mit stockender Stimme. »Wenn sie auch nur ein einziger Mensch gelesen haben wird, so mögen Sie wissen, daß ich sie nicht mehr verbergen werde, sondern alle sie lesen werden. So habe ich beschlossen. Ihres Rates bedarf ich gar nicht, denn mein Entschluß ist unerschütterlich. Aber lesen Sie sie! ... Sagen Sie während des Lesens nichts; aber wenn Sie werden gelesen haben, dann ersuche ich Sie, alles zu sagen« ...
»Ich soll sie lesen?« fragte Tichon unentschlossen.
»Lesen Sie sie; ich bin ganz ruhig.«
»Nein, ohne Brille kann ich es nicht lesen; es ist kleiner, ausländischer Druck.«
»Da ist Ihre Brille,« sagte Stawrogin, indem er sie vom Tische nahm und ihm hinreichte; dann lehnte er sich an die Sofalehne zurück. Tichon sah ihn nicht an und versenkte sich in die Lektüre.
Fußnoten
1 Anmerkung des Übersetzers: Als Dostojewskis Roman »Die Teufel« in den Jahrgängen 1871 und 1872 des »Russischen Boten« erschien, veranlaßte der Redakteur dieser Zeitschrift, Katkow, den Verfasser, drei Abschnitte wegzulassen; ein Passus, welchen Dostojewski im zweiten Teile gegen Ende des ersten Kapitels angebracht hatte, um auf diese drei Abschnitte vorzubereiten, wurde allerdings dadurch zwecklos. Der erste dieser Abschnitte ist dann aus einem von der Hand der Gattin Dostojewskis herrührenden Manuskripte im achten Bande der im Jahre 1906 in Petersburg veranstalteten Jubiläumsausgabe in der Abteilung »Materialien zum Roman ›Die Teufel‹« ohne seinen Anfang, aber unter Hinzunahme des Anfanges des zweiten abgedruckt worden; die beiden anderen sind, nebst dem bereits veröffentlichten, nach den erhaltenen Korrekturfahnen im Frühjahr 1922 in Moskau in einem Sonderhefte zum ersten Male publiziert.
II.
Es war tatsächlich ausländischer Druck: drei bedruckte, zusammengeheftete Bogen gewöhnlichen Briefpapieres kleinen Formates. Sie mochten im geheimen in irgendeiner ausländischen russischen Druckerei gedruckt sein und hatten auf den ersten Blick sehr viel Ähnlichkeit mit einer Proklamation. Am Kopfe stand: »Von Stawrogin.«
Ich nehme dieses Schriftstück buchstäblich in meine Chronik auf. Ich habe mir erlaubt, die orthographischen Fehler zu verbessern, die ziemlich zahlreich waren und mich sogar einigermaßen in Erstaunen versetzten, da der Verfasser doch ein gebildeter und (natürlich nur verhältnismäßig) belesener Mann war. Im Stil dagegen habe ich keinerlei Änderungen
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