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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Jungfräulichkeit ... so ist das ja ein bloßes Vorurteil, eine arge Rückständigkeit ... Aber wohin wollen Sie denn, wohin wollen Sie denn? Ach, sie läuft davon! Lassen Sie uns doch lieber zu Stawrogin zurückkehren und meine Droschke nehmen ... Aber wohin wollen Sie denn? Da ist ja nur freies Feld! Na, nun ist sie gefallen!«
    Er blieb stehen. Lisa war wie ein Vogel dahingeflogen, ohne zu wissen wohin, und Peter Stepanowitsch war schon fünfzig Schritte hinter ihr zurückgeblieben. Sie war gefallen, weil sie über einen Erdhöcker gestolpert war. In demselben Augenblicke ertönte von hinten, von seitwärts, ein furchtbarer Schrei, ein Schrei Mawriki Nikolajewitschs, der sie hatte laufen und fallen sehen und nun über das Feld zu ihr hineilte. Peter Stepanowitsch retirierte im Nu in das Tor des Stawroginschen Hauses, um so schnell wie möglich in seine Droschke zu steigen.
    Aber Mawriki Nikolajewitsch stand bereits in höchster Angst neben der hingefallenen Lisa, indem er sich über sie beugte und ihre Hand in den seinigen hielt. Die ganze Ungeheuerlichkeit dieser Begegnung erschütterte seine Denkkraft, und die Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er hatte sie, die er so hoch verehrte, sinnlos über das Feld laufen sehen, zu solcher Tageszeit, bei solchem Wetter, im bloßen Kleide, in jenem prächtigen Kleide vom vorhergehenden Tage, das jetzt verknittert und von dem Falle beschmutzt war ... Er konnte kein Wort herausbringen, zog seinen Mantel aus und legte ihn ihr mit zitternden Händen um die Schultern. Plötzlich schrie er auf: er hatte gefühlt, daß sie mit den Lippen seine Hand berührte.
    »Lisa,« rief er, »ich verstehe nichts; aber treiben Sie mich nicht von sich fort!«
    »Nein, nein, kommen Sie schnell von hier weg; verlassen Sie mich nicht!« Sie ergriff ihn selbst bei der Hand und zog ihn hinter sich her. »Mawriki Nikolajewitsch,« fuhr sie fort und ließ ängstlich die Stimme sinken, »ich bin dort sehr mutig gewesen; aber jetzt fürchte ich mich vor dem Tode. Ich werde sterben, werde sehr bald sterben; aber ich fürchte mich, ich fürchte mich davor...« flüsterte sie und drückte ihm stark die Hand.
    »Oh, wenn wir doch jemand hier hätten!« rief er, indem er sich verzweifelt nach allen Seiten umschaute. »Wenn doch jemand vorbeigefahren käme! Sie werden sich die Füße naß machen; Sie ... werden ganz von Sinnen kommen!«
    »Das tut nichts, das tut nichts!« redete sie ihm ermutigend zu. »Sehen Sie, so, wenn Sie bei mir sind, fürchte ich mich weniger; geben Sie mir Ihren Arm; führen Sie mich! ... Wohin gehen wir jetzt? Nach Hause? Nein, ich will zunächst die Ermordeten sehen. Es heißt, seine Frau sei ermordet, und er sagt, er habe es selbst getan; aber das ist doch unwahr, das ist doch unwahr? Ich will selbst die Ermordeten sehen ... sie sind für mich ermordet worden ... und um ihretwillen hat er in dieser Nacht aufgehört, mich zu lieben... Ich will sie sehen und alles erfahren. Nur schnell, nur schnell; ich kenne dieses Haus ... es hat da gebrannt ... Mawriki Nikolajewitsch, mein Freund, verzeihen Sie mir nicht; ich bin eine Ehrlose! Warum sollten Sie mir verzeihen? Weshalb weinen Sie? Geben Sie mir eine Ohrfeige, und schlagen Sie mich hier auf dem Felde tot wie einen Hund!«
    »Niemand hat jetzt ein Recht, Sie zu richten,« versetzte Mawriki Nikolajewitsch mit fester Stimme; »Gott möge Ihnen verzeihen; ich aber kann am allerwenigsten Ihr Richter sein!«
    Aber es würde sonderbar herauskommen, wenn ich ihr Gespräch wiedergeben wollte. Während desselben gingen sie beide Arm in Arm dahin, schnell, eilig, wie halb von Sinnen. Sie schlugen geradeswegs die Richtung nach der Brandstätte ein. Mawriki Nikolajewitsch hatte immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, wenigstens einen Bauernwagen zu treffen; aber kein Mensch ließ sich sehen. Ein dünner, feiner Regen erfüllte die ganze Gegend, verschlang alles Licht und jede Farbenschattierung und verwandelte alles in eine dunstige, bleifarbene, unterschiedslose Masse. Es war schon längst Tag; aber es schien immer noch nicht hell werden zu wollen. Und auf einmal hob sich aus diesem dicken, kalten Nebel eine Gestalt ab, eine sonderbare, wunderliche Gestalt, die ihnen entgegenkam. Wenn ich es mir jetzt vorstelle, so meine ich, ich hätte meinen Augen nicht getraut, wenn ich an Lisaweta Nikolajewnas Stelle gewesen wäre; aber sie schrie freudig auf und erkannte den sich Nähernden sofort. Es war Stepan Trofimowitsch. Wie er fortgegangen

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