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Die Dame aus Potsdam

Titel: Die Dame aus Potsdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg R. Kristan
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hatte sie Halluzinationen, die aus der Vergangenheit aufstiegen? War sie hier auf Menschen gestoßen, die ihre Lektion gelernt hatten, oder wurden Fäden für ein neues Netz der Intrigen gesponnen? – War man am Rhein durch das Leben im goldenen Westen so verbogen, daß die Maßstäbe von hüben und drüben nicht mehr zusammenpaßten? Was wußte sie von Bernd, der mit dem eigenen Flugzeug durch die Welt flog und so unaufschiebbare Termine wahrzunehmen hatte, daß er keine Zeit mehr fand, den Tag der Liebe bis zur Neige auszukosten?
    Eine halbe Stunde vor der Abfahrt des Busses stand Beate mit gepackter Reisetasche in der Hotelhalle und wartete auf Bernd. Alle paar Minuten trat sie vor die Tür und ging einige Schritte über die Poppeisdorf er Allee, die als herausragende Achse das Stadtschloß mit dem kurfürstlichen Lustschloßchen verband. Beate hatte kein Auge für das Ebenmaß und die Schönheit des Renaissancebaus im italienisch-französischen Stil, der in seiner Harmonie den Bauten der preußischen Könige nicht nachstand. – Über den Grünflächen kam leichter Nebel auf.
    Der Bus war vorgefahren, und die Reisenden drängten auf ihre Plätze. Einige Gastfamilien reichten noch Päckchen und prall gefüllte Plastiktüten nach, die offensichtlich einem Verpflegungsnotstand vorbeugen sollten.
    Beate hob ihre Reisetasche auf, machte einige Schritte zum Bus, verhielt und setzte die Tasche wieder ab. Ihr Blick wechselte von rechts nach links. Bernd Kalisch hatte sein Versprechen nicht gehalten. Sie registrierte auch, daß Silke Marino offensichtlich nicht mit nach Potsdam zurückfuhr.
    Als der Reiseleiter Beate mit einer Handbewegung aufforderte, einzusteigen, schreckte sie auf. »Ich hab’s mir anders überlegt. Ich bleibe noch ein paar Tage in Bonn. Bitte entschuldigen Sie, Sie brauchen sich um nichts zu kümmern.«
    »Viel Spaß und auf Wiedersehen«, hörte sie noch, dann schlossen sich die Türen, und der Bus fuhr ab.
    Beate sah sich noch einmal um. Langsam ging sie ins Hotel zurück. »Könnte ich mein Zimmer auf eigene Rechnung noch für ein oder zwei Nächte beibehalten?«
    Der Herr an der Rezeption lächelte nur wenig. »Aber selbstverständlich, gnädige Frau.«

 
    4
     
     
     
    Das Denkmal im Rheinauenpark hatte schon etwas Gesamtdeutsches. Im Kaiserreich war die Stadt Bonn kräftig gewachsen. Der Ausbau der Friedrich-Wilhelms-Universität, die wuchtigen Kasernenbauten an der Ermekeilstraße, die Heil- und Pflegeanstalt und die inzwischen abgerissene »Bierkirche« in der Gronau mit dem großen Saal für dreitausend Menschen hatten die Rentnerstadt in Richtung Moderne weiterentwickelt. Da konnte es nicht ausbleiben, daß um die Jahrhundertwende die Bürger und Studenten für den »Eisernen Kanzler« ein Ehrenmal am Ufer des Rheins – Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze – errichteten.
    Der Bismarckturm, auch »die Säule« genannt, hatte allerdings von vornherein keine Chance, gegen die Mächtigkeit des Stroms und die Konturen des Siebengebirges Statur zu gewinnen. Damit soll aber seine Eignung für vaterländische Treffen mit Ansprachen und Fahnenweihen keineswegs in Zweifel gezogen werden.
    Zu dieser frühen Morgenstunde wurde das Monument von einem Schäferhund umrundet, der seinen Herrn beim Joggen begleitete. Als der auf Luftkissensohlen dahinfedernde Regierungsrat Perleberg schon die stählerne Fußgängerbrücke über den Auensee erreicht hatte, jaulte der Rüde so herzerweichend auf, daß sein Herr im Lauf verhielt und beim nächsten Heulton auf dem Absatz kehrtmachte, um zu sehen, was sein Hund an der Vergangenheit zu beklagen hatte.
    Nur wenige Meter vom Sockel des Denkmals entfernt stand der Rüde mit gerecktem Hals und stieß abermals einen durchdringenden Ton aus, von dem der Volksmund gesagt hätte, er könne Tote zum Leben erwecken. Doch der Mann in den Büschen am Rande des Weges rührte sich nicht.
    Regierungsrat Perleberg wippte ein paarmal in den Schuhen nach, nahm die umgehängte Leine vom Hals und machte seinen Hund mit beruhigenden Worten am Stamm eines dünnen Baumes fest.
    Perleberg besaß genügend gesunden Menschenverstand, um einen Unfall oder ein Verbrechen zu vermuten, und ging vorsichtig an den leblos daliegenden Herrn mittleren Alters in der grau-braunen Tweedkombination heran. Noch ein Schritt, ein weiterer Blick – und der Befund war auch für den Laien klar: Schuß in die Brust! Die rechte Hand des offensichtlich toten Mannes umklammerte noch den Griff

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