Die Darwin-Kinder
raschelte. Dicken sah, dass sie seinen Blumenstrauß in eine große blaue Vase gestellt hatte, dieselbe Vase, die sie auch bei seinem letzten Besuch benutzt hatte. »Die Blumen sind wunderschön«, sagte sie. »Weiße Rosen, die hab ich am liebsten. Sie duften immer noch ein bisschen. Geht’s Ihnen gut?«
»Ja. Und Ihnen?«
»Mein Leben besteht nur noch aus Juckreiz, Christopher.
Derzeit lese ich Jane Eyre. Ich glaube, wenn die hierher, tief unter die Erde kommen, um den Roman zu verfilmen – und das werden sie ganz sicher, wissen Sie –, werde ich Mr.
Rochesters erste Frau spielen, das arme Ding.« Trotz der Schwellungen und Verbände war Mrs. Rhines Lächeln umwerfend. »Würden Sie sagen, dass ich die Rolle angemessen besetzen kann?«
»Sie sind wohl eher der unauffällige, aber von Natur aus reizende Typ, der den ruppigen, halbverrückten Mann von seiner dunklen Seite erlöst. Sie sind Jane.«
Sie zog einen Klappstuhl heran und setzte sich. Ihr Wohnzimmer mit den Sofas, den Stühlen und den Bildern an der Wand wirkte eigentlich ganz normal, nur ein Teppichbelag fehlte. Mrs. Rhine durfte jedoch ihre eigenen Läufer herstellen.
Außerdem strickte sie und arbeitete in einem anderen Zimmer, das vom Fenster aus nicht zu sehen war, regelmäßig an einem Webstuhl. Angeblich hatte sie bereits einen Wandteppich mit Märchenmotiven gewebt, in dem sie auch ihren Ehemann und die neugeborene Tochter verewigt hatte, aber den hatte sie noch keinem Menschen gezeigt.
»Wie lange können Sie bleiben?«, fragte Mrs. Rhine.
»So lange, wie Sie’s mit mir aushalten«, erwiderte Dicken.
»Etwa eine Stunde«, warf Marian Freedman ein.
»Man hat mir hier einen sehr angenehmen Tee gegeben«, sagte Mrs. Rhine mit einer Stimme, die jetzt kraftloser klang, und blickte zu Boden. »Er scheint meiner Haut gut zu tun.
Schade, dass ich Sie nicht dazu einladen kann.«
»Haben Sie mein Päckchen mit den DVDs erhalten?«, fragte Dicken.
»Ja. Plötzlich im letzten Sommer hat mir sehr gut gefallen.«
Mrs. Rhines Stimme klang jetzt wieder kräftiger. »Katherine Hepburn kann so überzeugend verrückt spielen.«
Freedman warf ihm von Schutzhelm zu Schutzhelm einen hinterhältigen Blick zu. »Ist das als Anspielung zu verstehen?«
»Still, Marian, bei mir im Kopf stimmt noch alles«, sagte Mrs. Rhine.
»Das weiß ich doch, Carla. Um Ihre geistige Gesundheit steht’s besser als um meine eigene.«
»Da haben Sie sicher Recht. Aber um mich brauche ich mir ja auch keine Sorgen zu machen, oder? Ganz ehrlich, Marian ist sehr lieb zu mir gewesen. Ich wünschte, ich hätte sie schon früher kennen gelernt. Aber eigentlich wünschte ich noch mehr, sie würde mich ihr Haar richten lassen.«
Freedman zog eine Augenbraue hoch und beugte sich zum Fenster vor, damit Mrs. Rhine ihren Gesichtsausdruck erkennen konnte. »Ha, ha.«
»Sie behandeln mich wirklich nicht allzu schlecht und ich schneide bei allen psychologischen Profil-Tests recht gut ab.«
Mrs. Rhines Gesicht verlor etwas von dem überdrehten, schelmischen Ausdruck, den es annahm, wenn sie andere in dieser Weise neckte. »Genug von mir geredet. Wie geht’s den Kindern, Christopher?«
Dicken bemerkte eine ganz leichte Anspannung in ihrer Stimme. »Soweit ganz gut.«
Ihr Ton klang jetzt leicht gereizt. »Ich meine diejenigen, mit denen meine Tochter zur Schule gehen würde, wenn sie noch lebte. Hält man die Kinder immer noch in Lagern fest?«
»Die meisten schon. Einige haben sich versteckt.«
»Was ist mit Kaye Lang?«, wollte Mrs. Rhine wissen. »An ihr und ihrer Tochter bin ich besonders interessiert. Ich hab in Zeitschriften von ihnen gelesen, hab sie auch im Fernsehen erlebt, in der Katie-Janeway-Show. Zieht sie ihre Tochter immer noch ohne öffentliche Hilfe auf?«
»Soweit ich weiß, ja. Wir haben keinen Kontakt mehr, sie ist in gewisser Weise untergetaucht.«
»Sie waren doch eng miteinander befreundet, wie ich in den Zeitschriften gelesen habe.«
»Das stimmt.«
»Sie sollten Verbindung mit Ihren Freunden halten.«
»Da gebe ich Ihnen Recht«, erwiderte Dicken, während Freedman geduldig zuhörte. Sie konnte sich sehr gut in Mrs.
Rhine einfühlen und tat das nicht nur aus nüchtern-analytischem Interesse. Ebenso war ihr klar, dass es in Christopher Dickens geschäftigem, aber einsamem Leben zwei weibliche Pole gab: Mrs. Rhine und Kaye Lang, die das Auftreten von SHEVA als Erste genau vorhergesagt hatte.
Beide Frauen hatten ihn tief berührt.
»Gibts
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