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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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    An einem Karibikmorgen um sieben spielte auf der Insel Antigua ein gewisser Peregrine Makepiece, kurz Perry, Universalsportler und Noch-Anglistikdozent an einem renommierten Oxforder College, drei Sätze Tennis gegen einen muskulösen Mittfünfziger, einen braunäugigen Russen mit kahlem Kopf und hoheitsvoller Haltung, der Dima hieß. Die Ereignisse rund um das Match gerieten schon bald ins Fadenkreuz britischer Agenten, die von Berufs wegen nicht an Zufälle glaubten. Dabei war der Hergang, soweit es Perry betraf, über jeden Vorwurf erhaben.
    Sein nahender dreißigster Geburtstag drei Monate zuvor hatte bei ihm eine Sinnkrise ausgelöst, die sich, von ihm unbemerkt, schon ein Jahr oder länger angebahnt hatte. Den Kopf in den Händen vergraben, hatte er morgens um acht in seiner bescheidenen Oxforder Wohnung gehockt, nachdem auch ein Sieben-Meilen-Lauf keine Linderung gebracht hatte, und sich mit der Frage gequält, was zum Henker er nach dem ersten Drittel seines Erdendaseins vorweisen konnte außer einem Freibrief dafür, sich um die Welt jenseits der träumenden Türme Oxfords nicht weiter zu kümmern.
    * * *
    Warum?
    Jedem Außenstehenden musste seine akademische Laufbahn als Erfolgsgeschichte sondergleichen erscheinen. Der Sohn eines Lehrerehepaars, der nie eine Privatschule von innen gesehen hat, kommt mit einem Abschluss von der London University und bergeweise akademischen Auszeichnungen nach Oxford und tritt eine Dreijahresstelle in einem altehrwürdigen, reichen, erfolgsorientierten College an. Seinen Taufnamen, traditionsgemäß der englischen Oberschicht vorbehalten, verdankt er einem aufrührerischen methodistischen Prälaten des neunzehnten Jahrhunderts, Arthur Peregrine von Huddersfield.
    In seiner Freizeit während des Semesters tut er sich als Querfeldeinläufer und Sportsmann hervor. Wenn er einen Abend erübrigen kann, hilft er in einem Oxforder Jugendclub aus. In den Ferien bezwingt er schwierigste Gipfel und beweist sich im extremen Fels. Aber als ihm sein College eine Dauerstelle anbietet – oder, wie es sich seiner angesäuerten Wahrnehmung darstellt, die lebenslange Gefangenschaft –, stemmt er die Fersen ein.
    Nochmals: Warum?
    Letztes Semester hat er seine Vorlesung über George Orwell »England in Ketten?« betitelt, und seine eigene Rhetorik hat ihn erschreckt. Hätte Orwell sich träumen lassen, dass die gleichen saturierten Stimmen, die ihm die dreißiger Jahre vergällt hatten, die gleiche lähmende Inkompetenz, die gleiche koloniale Kriegswut, die gleichen Vormachtallüren auch 2009 noch fröhliche Urständ feiern?
    Und als sich auf den Gesichtern der Studenten, die dasaßen und zu ihm hochstarrten, keinerlei Reaktion abzeichnete, hat er sie selbst geliefert: Nein, nie im Leben hätte Orwell sich das träumen lassen. Und wenn doch, dann wäre er auf die Straße gegangen. Dann hätte er Krawall geschlagen, aber wie.
    * * *
    GegenüberGail, seiner langjährigen Freundin, hatte er seinem Groll noch gründlicher Luft gemacht, als sie nach dem Geburtstagsessen für ihn zusammen in Gails Bett lagen, in Gails Wohnung in Primrose Hill, die sie von ihrem ansonsten mittellosen Vater geerbt hatte.
    »Collegedozenten kotzen mich an, und dass ich selbst einer bin, kotzt mich auch an. Der ganze Unibetrieb kotzt mich an, und je eher ich diesen Scheißtalar in die Ecke pfeffern kann, desto eher fühle ich mich wieder als freier Mann«, hatte er in das goldbraune Haar geschimpft, das sich sanft um seine Schulter ergoss.
    Und als er nur ein anteilnehmendes Schnurren zur Antwort erhielt: »Was soll ich Byron oder Keats oder Wordsworth irgendwelchen jungen Schnöseln andienen, die nichts anderes wollen als rauskommen, rumvögeln und reich werden? War da. Hab mitgemacht. Drecksbande.« Und indem er noch eins draufsetzte: »So ziemlich das Einzige, was mich in diesem Scheißland noch halten könnte, ist eine Revolution.«
    Worauf ihm Gail, eine aufgeweckte, ambitionierte junge Rechtsanwältin, die sowohl mit Schönheit als auch einem losen Mundwerk gesegnet war – manchmal loser, als ihr oder Perry lieb sein konnte –, versicherte, keine Revolution wäre vollständig ohne ihn.
    Auch Gail war praktisch elternlos. Aber während Perrys Eltern ein Muster an hochgesinnter christlich-sozialer Askese gewesen waren, waren ihre das glatte Gegenteil. Ihren Vater, einen liebenswert-unbegabten Schauspieler, hatten Alkohol, sechzig Zigaretten täglich sowie eine verfehlte Passion für seine launenhafte Frau

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