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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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gehörte. Ein altes Virus namens SHEVA hatte sich von der menschlichen DNA gelöst und die menschlichen Gene umstrukturiert. Das hatte dazu geführt, dass eine ganze Generation von Kindern wie Stella geboren worden war.
    Jedenfalls hatten es ihre Eltern so erklärt.

    Sie war keine Missgeburt, sie gehörte nur zu einer anderen Sorte Mensch.
    Stella Nova Rafelson, elf Jahre alt, fühlte sich so, als sei sie ihr ganzes Leben lang auf eigentümliche Weise allein gewesen.
    Manchmal sah sie sich selbst als Stern, als strahlend hellen Punkt an einem überaus weiten Himmel. Aber gegen die Milliarden von Menschen, die diesen Himmel bevölkerten, musste ihr Licht wie im Schein einer blendenden Sonne verblassen.

    9

    Gleich nach dem Gerichtsgebäude bog Kaye links ab und fuhr bis zur Tankstelle auf halber Höhe der Straße. In ihrer Kindheit hatte es auf Tankstellen noch kleine, mit Gummi umhüllte Signaldrähte gegeben, die ein Klingeln auslösten, wenn ein Wagen darüber fuhr. Jetzt gab es diese Drähte nicht mehr, und es kam auch niemand heraus, um sich nach Kayes Wünschen zu erkundigen. Sie hielt vor dem rot-weißen Lebensmittelladen der Tankstelle und wischte sich die Tränen aus den Augen.
    Eine Minute lang blieb sie im Toyota sitzen und versuchte, konzentriert nachzudenken.
    Stella besaß eine rote Geldbörse aus Kunststoff, in der sie zehn Dollar für den Notfall aufbewahrte. Im Gerichtsgebäude gab es zwar einen Trinkbrunnen, aber Kaye nahm an, dass Stella etwas Gekühltes, Süßes, Fruchtiges vorgezogen hatte.
    Während Kaye künstliche Zusätze, die nach Erdbeeren oder Himbeeren rochen, ekelerregend fand, schwelgte Stella darin wie eine Mieze in Katzenminze. »Es ist ein weiter Weg«, sagte Kaye sich, »und es ist heiß. Sie wird Durst haben. Heute ist ihr Ausflugstag, den sie ganz für sich allein genießt. Ohne an Mamis Rockzipfel zu hängen.« Sie biss sich auf die Lippen.
    Kaye und Mitch hatten Stella ihr ganzes kurzes Leben hindurch wie eine seltene Orchidee gehütet. Kaye war das durchaus klar und es war ihr zuwider, auch wenn es gar nicht anders ging. Nur auf diese Weise hatten sie zusammenbleiben können. Die Freiheit ihrer Tochter hing von diesem Schutz ab.
    In den Chatrooms des weltweiten Netzes wimmelte es von herzzerreißenden Geschichten solcher Eltern, die ihre Kinder aufgegeben und zugesehen hatten, wie sie in die vom Krisenstab eingerichteten Schulen in einem anderen Bundesland verfrachtet wurden. In die Lager.
    Mitch, Stella und Kaye hatten ein traumartiges, angespanntes, realitätsfremdes Leben geführt – keines, das einem aufgeschlossenen jungen Mädchen voller Energie dabei half, erwachsen zu werden; keines, das Mitch davor bewahren konnte, irgendwann auszurasten. Kaye bemühte sich, nicht allzu viel über sich selbst und das, was sich derzeit zwischen Mitch und ihr abspielte, nachzudenken. Wo sollte es hinführen, wenn sie selbst auch noch einen Knacks bekam? Aber ihre ehelichen Probleme hatten sich offensichtlich auch auf Stella ausgewirkt. Sie war ein typisches Papa-Kind, was Kaye einerseits mit Stolz, andererseits aber auch mit heimlicher Traurigkeit erfüllte. Auch Kaye war früher ein Papa-Kind gewesen, bis beide Eltern vor mehr als zwanzig Jahren gestorben waren. Und Mitch war in letzter Zeit so oft fort gewesen.
    Kaye trat durch die gläserne Doppeltür in den Laden. Die Verkäuferin, eine magere, erschöpft wirkende Frau, kaum jünger als Kaye, hatte einen Eimer samt Schrubber vor sich stehen und war damit beschäftigt, Tresen und Fußboden mit Lysol zu besprühen. Ihr Gesicht war grimmig verzogen.
    »Entschuldigung, haben Sie hier vielleicht ein großes, etwa elfjähriges Mädchen gesehen?«
    Die Verkäuferin streckte den Schrubber wie eine Lanze vor und stieß damit nach Kaye.

    10
    Washington, D.C.

    Ein großer Mann mit gebeugter Haltung, dessen weißes Haar sich bereits lichtete, schlenderte ins Büro. In der Hand hielt er einen Aktenkoffer, der schon bessere Tage gesehen hatte.
    Gianelli stand auf. »Herr Abgeordneter, Sie erinnern sich bestimmt noch an Mitch Rafelson.«
    »Aber ja«, erwiderte Wickham und streckte die Hand aus, die Mitch fest schüttelte. Die Hand war hart und trocken wie Holz.
    »Weiß irgendjemand, dass Sie hier sind, Mitch?«
    »Dick hat mich hereingeschmuggelt, Sir.«
    Wickham taxierte Mitch, während er leicht mit dem Kopf zuckte. »Kommen Sie mit in mein Büro, Mitch. Sie auch, Dick. Und machen Sie die Tür hinter sich zu.«
    Nachdem sie die Diele

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