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Die Darwin-Kinder

Die Darwin-Kinder

Titel: Die Darwin-Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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erfunden, allerdings behielt sie die meisten dieser Erfindungen für sich.

    Es war schon hart, für einen Großteil des elterlichen Zorns –
    vielleicht sogar für allen Ärger im Haus – verantwortlich zu sein. Hart zu wissen, dass es ihre Schuld war, wenn Mitch keine Töpferware und alten Schrott mehr ausgraben konnte und Kaye nicht mehr in irgendeinem Labor arbeiten, unterrichten oder sonst was tun konnte, sondern nur noch Artikel und Bücher schrieb, die aus irgendeinem Grund nie veröffentlicht, ja nicht einmal fertig wurden.
    Stella verschränkte die langen Finger ineinander, hob das Knie an, legte die Hände darum und hielt die Arme gerade. Als sie ein Fahrzeug kommen hörte, zog sie sich in den Schatten des Unterstands zurück und streckte die Beine ins Zwielicht.
    Langsam fuhr ein kleiner roter Lieferwagen vorbei, ein Ford, sauber, neu, mit einer weichen weißen Plastikplane über dem Heck. Deutlich war hinten in der Überdachung eine kleine Tür aus undurchsichtigem Kunststoff auszumachen. Der Wagen sah teuer aus und viel hübscher als der kleine Toyota-Laster oder Mitchs alter Dodge Intrepid.
    Der rote Lieferwagen bremste ab, hielt an, glitt sanft in den Rückwärtsgang und setzte zurück. Stella versuchte sich in die Ecke zu verdrücken und presste ihren Rücken gegen das zersplitterte Holz. Plötzlich wollte sie nur noch nach Hause.
    Sie war sicher, dass sie zurückfinden würde; der Geruch der Bäume würde ihr den Weg weisen. Allerdings würden ihr die Abgase der Autos den Rückweg erschweren. Und wenn der Regen einsetzte, würde es regelrecht kritisch werden.
    Der Lieferwagen hielt an. Der Fahrer stellte den Motor ab, öffnete die Tür und stieg auf der Seite aus, die Stella nicht einsehen konnte. Durch das dunkle Schutzglas der Wagenscheiben konnte sie nicht viel von ihm erkennen, nur, dass er graues Haar hatte und einen Bart trug. Als er langsam um den Wagen herumkam, zeichneten sich unter dem Fahrgestell die Schatten seiner Beine ab.

    »Hallo, mein Fräulein«, sagte er und blieb im respektvollen Abstand von vier oder fünf Metern vor der Stelle stehen, an die Stella sich geflüchtet hatte. Er schob die Hände in die Taschen seiner Khaki-Shorts. Zwischen seinen Zähnen steckte eine nicht angezündete Pfeife. Während er mit einer Hand nach der Pfeife griff und damit in ihre Richtung deutete, fragte er:
    »Wohnst du hier in der Gegend?«
    Stella nickte aus dem Schatten heraus.
    Sein durch und durch grauer Ziegenbart war gut gepflegt. Er hatte zwar einen Bierbauch, verwandte aber offenbar viel Sorgfalt auf seine Kleidung. Die wadenlangen Socken und Laufschuhe waren blütenweiß und sauber. Er roch vertrauenerweckend, soweit Stella es unter den Deodorant-Schwaden und den Düften aus seiner Pfeife – der trockene Tabak roch nach Rum und Kirschen – wahrnehmen konnte.
    »Du solltest eigentlich bei deiner Familie und bei deinen Freunden sein«, sagte er.
    »Ich bin auf dem Heimweg«, erklärte Stella.
    »Aber der Bus kommt erst heute Abend wieder vorbei, er hält hier nur zwei Mal am Tag.«
    »Ich gehe zu Fuß.«
    »Na, prima. Du solltest auch nicht bei fremden Leuten ins Auto steigen.«
    »Das weiß ich.«
    »Kann ich dir irgendwie helfen? Deine Leute anrufen oder so?«
    Stella gab keine Antwort. Sie hatten nur ein sicheres Telefon zu Hause, das ausschließlich für Notfälle vorgesehen war.
    Ansonsten kauften sie bei Bedarf Wegwerf-Handys. Wenn sie miteinander telefonierten, benutzten sie stets eine Art Familien-Code, selbst über Handy. Allerdings hatte Mitch gesagt, man könne die Stimme in jedem Fall identifizieren, selbst wenn man sich große Mühe gab, sie zu verstellen.

    Sie wollte, dass der Mann in den Shorts verschwand.
    »Sind deine Leute zu Hause, kleines Fräulein?«
    Stella wandte den Blick zur Sonne, die gerade durch die Wolken blinzelte.
    »Falls du allein bist, kenne ich Menschen, die dir helfen könnten. Ganz besondere Freunde. Hör mal, ich hab ihre Stimmen auf Tonband.« Er kramte in der hinteren Tasche, zog einen kleinen Recorder hervor, drückte auf einen Knopf und hielt ihr das Gerät hin, damit sie zuhören konnte.
    Solche Lieder und Pfeiftöne hatte sie schon früher gehört, in Radio und Fernsehen. Als sie drei gewesen war, hatte sie einen Jungen solche Lieder singen hören. Und vor ein paar Jahren war sie in diesem Haus in Richmond gewesen, in diesem großen Ziegelsteinhaus mit dem eisernen Tor und den Wachhunden. Es waren vier Ehepaare da gewesen, nervöse, magere

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