Die Darwin-Kinder
wochenlang nicht geschlafen.«
Mitch zuckte die Achseln. »Ich liege wach und lausche darauf, ob Lastwagen vorfahren. Ich bin nur ungern so weit von Kaye und Stella weg.«
»Wie weit?«
Mitch warf ihm aus den Augenwinkeln, die von kräftigen Brauen überschattet wurden, einen Blick zu und schüttelte den Kopf.
»Ach ja«, sagte Gianelli. »Tut mir Leid.«
7
Spotsylvania County
Das alte Holzhaus ächzte und knarrte in der Hitze des Morgens. Eine feuchte Brise strömte träge durch die kleinen Zimmer. Kaye ging vom Schlafzimmer ins Bad und rieb sich die Augen. Sie war gerade aus einem höchst eigenartigen Traum erwacht, in dem sie ein Atom gewesen war. Langsam war sie in die Höhe gestiegen, um sich mit einem viel größeren Molekül zu verbinden, sich einzupassen und damit etwas wirklich Eindrucksvolles zu vollenden. Zum ersten Mal seit Monaten spürte sie inneren Frieden, auch wenn die Erinnerung an den Streit am Vorabend sie immer noch schmerzte.
Kaye massierte sich die Finger der rechten Hand und streifte dann mühsam den Ehering über den angeschwollenen Fingerknöchel, bis er an der richtigen Stelle, in der vertrauten Vertiefung, saß. In den Oleanderbüschen draußen vor dem Fenster summten Bienen, in ihr Tagewerk vertieft.
»Das war schon ein toller Traum«, teilte sie ihrem Spiegelbild mit, zog ein Augenlid herunter und musterte sich.
»Wir sind wohl ein bisschen gestresst, wie?«
Ihre Schwangerschaft hatte ein paar Tupfer unter beiden Augen hinterlassen. Wenn sie sich aufregte, konnte es immer noch passieren, dass sie von blassem Gelbbraun zu rötlichem Ocker wechselten. Jetzt wirkten sie dunkler, pulsierten aber nicht. Sie spritzte sich Wasser auf die Wangen und steckte sich das Haar in Erwartung eines heißen Tages mit einer Spange hoch, bereit, sich weiteren Problemen zu stellen. Schließlich bedeutete Familienleben, dass man zusammenhielt und einander die Schmerzen linderte.
Wenn die Bienen es schaffen, schaff ich es auch.
»Stella«, rief sie und klopfte an die Schlafzimmertür ihrer Tochter. »Es ist schon neun. Wir haben verschlafen.«
Kaye trottete in das kleine Büro, das sie sich in der Waschküche eingerichtet hatte, schaltete den Computer ein, las die Zeilen, die sie vor dem Krach gestern Abend verfasst hatte, und ging nochmals die letzten Seiten durch: Die Rolle, die SHEVA bei der Erzeugung dieser neuen Subspezies spielt, ist nur eine der Wirkungsweisen dieser vielfältig aktiven und wesentlichen Gruppe von Viren.
Endogene Retroviren und Transposons – mobile genetische Elemente – haben für die Differenzierung und Entwicklung des Zellgewebes große Bedeutung. Gefühle, Krisen und Umweltveränderungen können dazu führen, dass sie einzeln oder auch gemeinsam aktiviert werden. Sie wirken als Botschafter und Vermittler zwischen den Zellen, befördern genetisches Material und codierte Informationen zu vielen Bereichen des Körpers und sorgen sogar für den zwischenmenschlichen Austausch.
Viren und Transposons traten höchstwahrscheinlich nach dem Entstehen der sexuellen Fortpflanzung auf, vielleicht sogar als Folge davon. Bis heute gibt die sexuelle Fortpflanzung ihnen Gelegenheit, Informationen zu befördern und zu verbreiten. Allerdings ist es auch möglich, dass sie erstmals während der heftigen genetischen Veränderungen in den frühen Entwicklungsstadien unseres Immunsystems aufgetaucht sind, wie Soldaten und Polizisten, die wild durch die Gegend rennen.
Eigentlich stellen sie so etwas wie den ursprünglichen Sündenfall dar, der die Erbsünde nach sich zog. Welchen Einfluss hat die Erbsünde auf unser Schicksal?
Kaye markierte diesen letzten Satz, der merkwürdig klang und über das Ziel hinausschoss, und las danach weiter.
Eines wissen wir bereits: In fast jedem Stadium unseres Wachstums hängen wir vom Agieren der Retroviren und Transposons ab. Viele sind lebenswichtige Partner.
Anzunehmen, dass Viren und Transpositionselemente in erster Linie Krankheiten verursachen, ist so, als betrachte man Automobile in erster Linie als Instrumente, um Menschen zu töten.
Pathogene, also krankheitserregende Organismen, ähneln Hormonen und anderen winzigen Teilchen, die Signale geben, allerdings ist ihre Botschaft eine stillschweigende Herausforderung. Pathogene stellen uns wie Löwen in unserem Innern auf die Probe. Sie trennen die Spreu vom Weizen, sondern die Alten und Schwachen aus. Sie meißeln das heraus, was leben soll.
Zuweilen bringen sie aber auch die jungen und
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