Die Darwin-Kinder
durchquert hatten, betraten sie Wickhams Büro, das mit Gedenktafeln und Fotos vollgestopft war und ein ganzes politisches Leben dokumentierte.
»Richter Barnhall hat heute Morgen um zehn Uhr einen Herzanfall erlitten«, erklärte Wickham.
Mitch entgleiste das Gesicht. Barnhall war hartnäckig für die Bürgerrechte eingetreten und hatte sich selbst für SHEVA-Kinder und ihre Eltern eingesetzt.
»Er ist im Bethesda-Krankenhaus«, fuhr Wickham fort. »Man hat dort nicht mehr viel Hoffnung, schließlich ist der Mann schon neunzig. Ich habe gerade mit dem Fraktionsvorsitzenden der Demokraten im Senat gesprochen. Morgen statten wir dem Weißen Haus einen Besuch ab.« Wickham legte seinen Aktenkoffer auf einem Sofa ab und schob die Hände in die Taschen seiner schokoladenbraunen Hose. »Richter Barnhall war einer der Guten. Jetzt will der Präsident Olsen – und das ist ein wirklich toller Hecht, Mitch. So was wie ihn haben wir seit Roger B. Taney nicht mehr erlebt. War nie verheiratet, hat ein Gesicht wie
ein Wiesel und vor dem Kopf ein dickes Brett. Will achtzig Jahre dessen aufheben, was er als juristischen Aktionismus bezeichnet, denkt, dass er bei einer Zweidrittelmehrheit das Land bei den Eiern packen kann. Und das wird er wohl auch.
Wir werden diese Runde nicht gewinnen, aber wir können wenigstens ein paar Schläge landen. Und bei der Wahl zahlen dies uns dann heim. Die werden uns fertig machen.« Wickham blickte Mitch traurig an. »Ich halte wirklich viel von einem fairen Kampf.«
Die Sekretärin klopfte an den Türrahmen. »Herr Abgeordneter, ist Mr. Rafelson bei Ihnen?« Mit hochgezogener Braue sah sie Mitch direkt an.
»Wer will das wissen?«, fragte Gianelli.
»Will ihren Namen nicht nennen und klingt sehr aufgeregt.
Die Telefonzentrale sagt, dass sie von einem Handy aus anruft.
Offenbar läuft das Gespräch über die Leitung einer bei uns nicht registrierten Telefongesellschaft. Das ist inzwischen verboten, Sir.«
»Was Sie nicht sagen«, erwiderte Wickham und sah aus dem Fenster.
»Nur meine Frau weiß, dass ich hier bin, sonst niemand«, erklärte Mitch.
»Lassen Sie sich die Nummer geben und rufen Sie die Frau zurück, Connie«, sagte Wickham. »Schalten Sie den Zerhacker ein und melden Sie offiziell ein Gespräch… oh… mit Tom Haneys Büro in Boca Raton an.«
»Ja, Sir.«
Wickham deutete auf das Telefon auf seinem Schreibtisch.
»Wir können ihre Leitung mit einem speziellen Zerhacker verbinden, den wir für die interne Kommunikation benutzen«, bemerkte er und tippte gleichzeitig auf seine Armbanduhr.
»Beginnt und endet mit Wortsalat – überhaupt klingt alles nur wie Kauderwelsch, wenn man den Code nicht kennt. Bei jedem Anruf wechseln wir den Code. Die Nationale Sicherheit braucht etwa eine Minute, um unseren Code zu knacken, fassen Sie sich also kurz!«
Als die Sekretärin den Anruf durchstellte, blickte Mitch von Gianelli zu Wickham. Schließlich griff er mit den schlimmsten Befürchtungen zum Hörer auf dem Schreibtisch.
11
Spotsylvania County
Ihr Tagebuch fest an die Brust gedrückt, saß Stella an einer Bushaltestelle im Schatten eines alten Holzunterstandes. Sie saß hier schon seit neunzig Minuten. Die Limonade war längst ausgetrunken und sie hatte Durst. Die morgendliche Hitze wirkte lähmend, auch wenn sich der Himmel bereits zuzog.
Die Luft war aufgeladen von dieser unheimlichen Elektrizität, Schwüle und Feuchtigkeit, die Vorboten eines schlimmen Unwetters sind. Inzwischen hatten ihre Gefühle einen Salto mortale geschlagen. »Ich hab mich wirklich blöd verhalten«, gestand sie sich ein. »Kaye wird stinksauer auf mich sein.«
Kaye zeigte ihre Wut nur selten. Wenn Mitch sich zu Hause aufhielt, war er derjenige, der hin und her tigerte, den Kopf schüttelte und die Fäuste ballte, sobald die Situation sich auflud. Aber Stella merkte trotzdem, wann Kaye zornig war.
Ihre Mutter konnte auf ihre ruhige Art genauso wütend werden wie Mitch.
Stella konnte häuslichen Ärger nicht ausstehen. Er stach ihr in die Nase, so schlimm wie verwesende Küchenschaben.
Kaye und Mitch ließen ihren Zorn nie an Stella aus. Beide behandelten sie mit zärtlicher Nachsicht, selbst wenn ihnen, wie deutlich zu merken war, eigentlich gar nicht danach war.
Und das führte dazu, dass Stella sich in solchen Situationen wegseitig fühlte, wie sie es nannte: sonderbar, andersartig, an den Rand gedrängt und isoliert. Das Wort wegseitig hatte Stella genau wie viele andere Worte selbst
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