Die Delegation
irgendwann müssen diese Bücher ja realisiert werden, man muß die Filme drehen, und das dauert Wochen oder Monate, und da ist man dann eben auch viel unterwegs, je nachdem wieviel Außenaufnahmen man hat … Sie haben sicher schon Filme von mir gesehen?«
Immer diese Eitelkeit. Vielleicht erinnerte sie sich aber doch an Titel und Themen oder einzelne Szenen. Ich will, daß man sich erinnert, daß man im Kopf behält, was ich gedreht habe: ein sinnloser Wunsch, denn jede Fernsehsendung schlägt die vorhergehende tot. Wer weiß denn noch, was gestern abend lief, vorgestern, letztes Jahr? »Wir haben kein Fernsehgerät!«
»Das gibt’s doch nicht! Ein Kameramann …?«
»Es ist wegen der Kinder!« – Immer dieses verlogene Argument!
»Das läßt sich doch steuern. Da wählt man eben aus. Es gibt inzwischen ausgezeichnete Sendungen gerade für Kinder, die bekommen einen weiteren Horizont, erfahren eine Menge über uns und unsere Welt. Sicher, es gehört Disziplin dazu, man muß im rechten Augenblick auch mal nein sagen können und hart bleiben. Wie alt sind Ihre Kinder?«
»Das ist eigentlich nicht das einzige Problem. Es ist schwer zu erklären. Vielleicht verstehen Sie mich auch nicht …« Nein, ich verstand sie nicht. Auch Autos sind gefährlich, elektrische Herde, Gasöfen, Flugzeuge, Steckdosen. »Sind Sie nicht daran interessiert, die Filme Ihres Mannes zu sehen?«
Das war der Punkt. Sie schaute mich verblüfft an, ertappt. »Sie finden auch, ich sollte mich dafür interessieren … ja?« Endlich hatte sie die Schürze abgenommen, hatte sie verlegen wie ein Schulmädchen um die Hand gewickelt und sich wieder hingesetzt, vorn auf die Kante.
»Nein, ich will das nicht sehen. Ich will nicht sehen, was er tut. Ich will nicht sehen, wo er war.«
Das beste wäre gewesen, jetzt aufzustehen, schnell das Glas mit diesem süßen Zeug leerzukippen, irgend etwas zu sagen und zu gehen. Mir wäre schon was eingefallen. Und sie hätte vielleicht meinen Namen vergessen, bis er kommt – wenn er kommt. ›Da war einer da, ein Kollege von dir, ein Regisseur, ich weiß nicht, was er wollte, er hat drei Stunden gewartet oder sogar vier, und dann ist er plötzlich aufgestanden und gegangen. Nein, er hat nichts hinterlassen.‹ Ich kenne den kurzen Blick, das Wegschauen, wieder ein Blick, wieder weg, ich kenne das von Interviews, wenn man Leute ausfragt, aushorcht, und irgendwann geht es los, da packen sie aus, da kommt die Geschichte. Ich war ja gewarnt. »Früher haben wir in Mainz gewohnt, mein Mann und ich, er war ja von Anfang an dabei, seit der Gründung des ZDF, von Anfang an. Und die haben uns sofort eine schöne Wohnung besorgt, in einem Neubauviertel, ein ganzer Block, da wohnten wir dann alle. Seine Kollegen und Redakteure mit ihren Frauen, das war sehr günstig, sehr nah zu den Büros, nicht weit zum Studio, war auch eigentlich sehr hübsch gedacht, wir hatten Kontakt miteinander – aber eigentlich war es die reine Hölle.
Wir waren ja von überallher gekommen in diese Stadt, die uns fremd war, wir hatten alle Bindungen aufgegeben, Freundschaften, Bekannte, Verwandtschaft. Und da saßen wir nun und waren aufeinander angewiesen. Und er – na ja, er hatte es gut: Er nahm einfach seine Kamera und zog los. Im ersten Jahr war er nur sechs Wochen zu Hause, im zweiten drei, das war sein Jahresurlaub. Er war immerzu unterwegs, Jahr für Jahr. Mitreisen ging nicht, er flog immer, das war zu teuer für uns, festangestellte Kameraleute verdienen nicht sehr viel, längst nicht soviel wie freischaffende, und ich hatte ja auch die Kinder.
Manchmal kam ein Telegramm: Rückkehr aus … aus … Mombasa am zwanzigsten. Dann war man glücklich. Und am neunzehnten kam ein Anruf: Du, das klappt leider nicht, wir fliegen gleich weiter nach Teheran – aber anschließend bleibe ich dann ganze vier Wochen zu Hause. Ach woher, das war doch nicht wahr, das wurde doch wieder nichts. Ja, sicher, eine Nacht mal oder zwei, ein Wochenende. Das war’s dann schon.
Man wartet, man freut sich – aber irgendwann wagt man auch das nicht mehr, es wurden ja doch immer nur Enttäuschungen daraus.
Für ihn ist das alles kein Problem, er liebt seinen Job, kommt rum in der Welt, Südamerika, Afrika, Asien. Er findet das toll! Und plötzlich hat es mich nicht mehr interessiert, wo er war, wann er kommt, ob er kommt. Ich wollte auch nicht mehr sehen, was er gedreht hat.
So ging’s nicht nur mir, allen ging es so, allen im Haus. Ein ganzer
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