Die Delegation
war weder Absicht noch böser Wille: »Anweisung an die zentrale Disposition. Die Kameras für Herrn Hanniek müssen Freitag früh bereitstehen. Abholung acht Uhr. Abflug Frankfurt 11 Uhr 45 nach Lusaka. Ja, über Douala. Carnet ist vorhanden, liegt bei der Spedition. Die Liste muß noch rauf, die ist dringend, ja, für den Zoll. Objektiv- und Gehäusenummern der Kameras müssen da rein. Wenn Rückfragen sind … bitte? Nein, das muß er selbst entscheiden. Tut mir leid, ja. Gut, Herr Hanniek kommt bei Ihnen vorbei, ich sage ihm Bescheid!«
Wie denn nun? Hanniek war hier in Wiesbaden? War noch gar nicht in Sambia? Was für ein Spiel spielte Kufner mit mir? Ich versuchte, Hanniek am Kameralager abzufangen, suchte ihn bei seinen Kollegen, in Redaktionszimmern, bei der Ortszeit, beim Länderspiegel, wieder oben bei Kufner, in den Vorführungen, im Kopierwerk, im Schneideraum bei Frau Beilke. Dort lernte ich Holger Stachwitz kennen, Hannieks Assistent. Der hatte die technischen Vorbereitungen der Abreise zu organisieren. Ich versuchte, ihn auszuhorchen, aber er war Hanniek erst seit kurzem zugeteilt, kannte Roczinski überhaupt nicht und hatte nur beiläufig von dieser Geschichte gehört. »Von welcher Geschichte, Herr Stachwitz?« – Ich stellte mich dumm.
»Daß Hanniek schuld war, daß man Roczinski gefeuert hat!«
»Wie hat er das fertiggebracht?«
»Hat eben ausgepackt, der war ja ohnehin überfällig, da hat’s nicht mehr viel gebraucht, die haben ja hier nur auf irgendeinen Grund gewartet, und den hat Gerd ihnen geliefert, detaillierte Berichte, Aktennotizen, jeden Tag eine. Wenn einer einen Kollegen killen will, dann nur immer fleißig Aktennotizen nach oben, die Arbeit zahlt sich aus, irgendwann haut das dem die Füße weg.« Wie recht er hat!
Während wir rumstanden und quatschten, war Hanniek abgerauscht, Stachwitz sah seinen Wagen gerade noch durchs Tor flitzen. Wohin? Nach Hause, nach Bochum. Stachwitz gab mir seine Adresse.
Und ich Idiot fuhr hinterher. Zweieinhalb Stunden Autobahn und Zubringer mit dichtem Verkehr.
Und nun war Hanniek nicht da, noch nicht, und er schien auch nicht zu kommen, seine Frau wußte wenigstens von nichts. Auch kein Anruf von ihm. Vielleicht wollte er sie überraschen; schnell noch mal drei Nächte zu Hause vor der nächsten längeren Auslandstournee. Vielleicht war er aber auch bei einer Freundin, irgendwo, wer weiß, wo ich da reingetappt bin, was ich da jetzt angerichtet habe mit meinem unangemeldeten Auftauchen.
Frau Hanniek war unruhig. Sie ging auf und ab und rauchte, schaute wieder minutenlang unbeweglich durch feingesteckte Gardinen hinaus auf einen widerlichen Hof.
17
Es ging auf Mittag. Sie machte Licht. Man sah sich ja kaum noch. ›Düsternis fiel über das Erdreich.‹ – ›Blauer Himmel über der Ruhr!‹
Sie kam näher, blieb vor mir stehen: »Sind Sie sicher, daß er noch kommt?«
»Ich habe ihn so verstanden!«
Da saßen wir nun und schwiegen uns an. Das rote Haar leuchtete im Licht der rosa Stehlampe. Wie alt mochte sie sein? Ende zwanzig, Ende dreißig? Ihre Haut war blaß und schlaff. Kam das vom Smog hier in der Stadt oder von dieser gierigen Zigarettenpafferei bei geschlossenen Fenstern? Sie lehnte sich zurück auf dieser scheußlichen Couch, Sitzgarnitur, starrte mich sekundenlang geistesabwesend an, bis es ihr selbst auffiel, sie lächelte verlegen und sah wieder weg. Wieso hatte sie mich in die Wohnung gelassen, in diesen düsteren Altbau im dritten Stock, förmlich hereingebeten, ja, überredet dazu, ich hatte ja woanders warten, irgendwann wiederkommen wollen, zwischendurch mal anrufen, in Ruhe Essen gehen, Tee trinken, die Fotos ansehen im Foyer des Theaters nebenan, das Plakat mit dem Spielplan. Vielleicht war ein Schauspieler dabei, den ich gut kannte, der gerade probenfrei war, Stefan Orlac zum Beispiel, der würde mir schon helfen, die Zeit totzuschlagen, während ich auf einen wartete, der nicht hier und nicht in Sambia war. »Sie sind ein Kollege von meinem Mann?« Sie hatte inzwischen für die Kinder das Essen zubereitet, die mußten gleich aus der Schule kommen, nun stand sie wieder in der Tür, wischte ihre Hände an einer bunten Schürze ab und versuchte, die Bänder aufzuknoten. »Kollege? Ja, doch, in gewisser Weise, ich bin Regisseur.«
»Dann sind Sie sicher auch viel unterwegs?«
»Es geht eigentlich. Ich schreibe oft viele Monate im Jahr, an Manuskripten und Drehbüchern. Das mach ich natürlich zu Hause. Aber
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