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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Wohnblock voll unzufriedener, aggressiver … ja, was denn nun – was sind wir eigentlich? – grüne Witwen? Nein – die haben wirklich keinen Grund, unzufrieden zu sein, der Mann kommt abends heim – eher Seemannsfrauen, und die Männer trampen um die Welt.
    Und wir waren alle zusammengesperrt, mit den gleichen Problemen, den gleichen Enttäuschungen, Frustrationen nennt man das wohl heute, ja? Das war wie in einem Getto.« Die Kinder nebenan hörten eine Hit-Platte nun schon zum viertenmal. Sie trank wie ich von diesem klebrigen Zeug und rauchte und rauchte.
    Warum erzählte sie mir das? Hatte sie niemanden sonst, der sich das anhörte? Dachte sie im Ernst, das sei alles neu für mich? Ich kenn’ doch den Laden, das muß sie doch wissen. »Ja, und irgendwann, das war vor etwa anderthalb Jahren, da zog ich hierher, also wir, wir zogen hierher in die Wohnung seiner Mutter, die war gestorben, hier in Bochum bin ich aufgewachsen, hier hatten wir uns kennengelernt, hier leben meine Eltern noch, Schulfreundinnen, hier ist das alles einigermaßen zu ertragen.«
    Eine Pause. Auch nebenan war nun Ruhe, vielleicht machten sie Schulaufgaben.
    »Sind Sie ganz sicher, daß er heute noch kommt?« Sie sah mich wieder an. Sagte nichts. »Ich werde jetzt gehen …!«
    »Bleiben Sie noch! Bitte! Soll ich Ihnen ein Brot machen und Tee? Sie haben ja gar nichts gegessen.«
    »Danke, nein. Wirklich nicht. Nicht nötig. Zwanzig Minuten werde ich noch warten. Wenn es nicht so wichtig wäre …« Es war kurz nach vier. Mir kamen berechtigte Zweifel. »Er hätte doch sicher bei Ihnen angerufen, hätte sich gemeldet, hätte Bescheid gesagt, daß er noch mal kommt. Und wann er kommt.«
    »Das tut er nicht. Ich weiß nicht, wann er kommt, wie lange er bleibt, wohin er fährt.
    Letztes Jahr war er zweimal in Vietnam. Das hab’ ich auch nur durch Zufall erfahren, ja, wirklich. Wenn der Briefträger hochkommt und läutet – ich erschrecke jedesmal zu Tode, irgendwann bringt er ein Telegramm mit schlechten Nachrichten, ich weiß das. Er selbst meldet sich nicht mehr, keine Briefe, keine Postkarten, ich habe ihn darum gebeten, wenn er kommt, dann kommt er eben, dann ist er einfach da, und alles ist in Ordnung …!«
    Sie stand schnell auf und ging hinaus.

 
18
 
    Er kam tatsächlich noch. Es war kurz vor fünf. Er schloß auf, seine Frau war wohl in der Küche, sie war nicht mehr hereingekommen zu mir. Sie fing ihn ab, sie flüsterten draußen auf dem Flur, das ging endlos lange, ein Getuschel, nur er wurde manchmal laut.
    Als er hereinkam, drückte er die Tür langsam und betont hinter sich zu. Das Haar so lang zu tragen, gilt als kreativ und jugendlich-dynamisch, auch wenn einer schon zu alt dafür ist. Er lächelte auch nicht, er sagte nur: »Ja, bitte?« Ich stellte mich vor, wir waren uns ja nie begegnet, und dann verhandelten wir im Stehen.
    Seine Frau war draußen geblieben. Ich bekam sie nicht mehr zu Gesicht, auch nicht im Flur, als ich ging, nicht an der Wohnungstür. Ich bestellte schöne Grüße, Empfehlungen an die Gattin, sagte man wohl früher. Hanniek nickte, schloß die Tür hinter mir, ich ging die drei Treppen hinunter und war so klug wie zuvor.
    Nichts. Kein Kommentar. Wozu dieses peinliche Warten, diese unerträglichen Stunden in dieser verräucherten Wohnung? Für diese fünf Minuten ohne Ergebnis? Warum nehme ich das alles auf mich? Für eine fixe Idee? Nach Hanniek zu urteilen, war das alles nur Mumpitz, die Sache mit Roczinski und seiner ›Delegation‹. Kein Geheimnis, ›hoax‹ – Quatsch also. Dementsprechend ließ er mich abfahren.
    Das war er nun, der ganze, lange Tag.
    Ich hatte keine Lust mehr, zurückzufahren, nahm mir in Bochum ein Hotelzimmer, es war nachmittags halb sechs, machte die Vorhänge dicht, in der irrigen Hoffnung, sie könnten den Straßenlärm dämpfen, verließ das Zimmer nicht mehr, versuchte nachzudenken, auch das ohne Erfolg. Kufner war in Wiesbaden nicht mehr zu erreichen. Ich hinterließ die Nummer meines Hotels. Wozu? Von dieser Seite war wirklich nichts mehr zu erwarten. Die Verwirrungen waren perfekt, die Probleme hatten sich verflüchtigt, die Hennessy-Flasche war halbleer. Zu allem Überfluß schluckte ich noch Valium und wunderte mich über die Stimme von Rüdiger am Telefon. Ich preßte den Hörer ans Ohr und machte Licht. »Hörst du mich nicht? Hallo!«
    Ich hörte ihn, der Taschenwecker lag auf dem Boden, es war halb neun. Halb neun Uhr früh? Licht hinter den Vorhängen,

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