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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Ist etwas in Rosenheim passiert?«
    »Wie sieht sie aus – haben Sie das Mädchen gesehen?«
    »Welches Mädchen? Wer sieht wie aus?« Juliette meinte diesen Fall von Psychokinese, der sich in einer Rosenheimer Anwaltskanzlei zugetragen hat, und der im Ausland größere Schlagzeilen machte als bei uns. Und der natürlich ein Fressen für die Parapsychologen war. Ich erzählte ihr, was ich so aus unseren Zeitungen wußte. Natürlich war sie besser informiert. Sie hatte auch die Veröffentlichung von Professor Bender gelesen, der den Fall untersucht hatte. Vier Semester hatte sie bei ihm in Freiburg studiert, daher das perfekte Deutsch.
    »Warum sind Sie damals nicht hingefahren, nach Rosenheim? Das war doch eine Weltsensation, daß man zum erstenmal ›PSI‹, die parapsychologische Kraft eines sensitiven Mädchens, mit neutralen Meßinstrumenten, mit Voltmeter und Telefongebühren-Zähler nachweisen konnte!«
    Juliette war nicht zu beruhigen. Da saß sie weit weg in den Vereinigten Staaten – und wir, wir lebten sozusagen in direkter Nachbarschaft mit dieser Sensation und kümmerten uns nicht darum. Mein Gott, welche Ignoranten …! »Ich bin kein Parapsychologe!«
    »Aber Sie sind vom Fernsehen!«
    »Das Fernsehen war wohl dort, glaube ich. Ich habe so eine Erinnerung, als hätte ich einen Bericht darüber gesehen.«
    »Sie glauben? Erinnerung …«
    Wir hatten auf einmal ziemlich an Ansehen verloren. Aber noch lachte Juliette und studierte weiter das Protokoll. Die Rosenheimer Geschichte: Lampen begannen zu schwingen, Bilder fielen von der Wand, Sicherungen brannten durch, elektrische Birnen glühten auf und zerplatzten, zentnerschwere Aktenschränke veränderten ihren Standort, und pausenlos klingelte das Telefon.
    Ausgelöst hatte diese Phänomene ein junges Mädchen. Das saß still und bescheiden an seinem Schreibtisch inmitten dieses entfesselten Spuks und versuchte, seine übergroßen Aggressionen brav und artig herunterzuschlucken, was offensichtlich nicht so recht gelang. Es schienen dabei Kräfte frei zu werden, die ihre materielle Umgebung beeinflußten. Das muß sich, wenn ich mich recht erinnere, 1967 oder 1968 zugetragen haben.
    Im Jahre 1969, das las ich nun hier in einer Urkunde, die hinter Glas an der Wand hing, wurde die ›Parapsychological Association‹, eine weltweite Vereinigung einschlägiger Institute, in die ›American Association for the Advancement of Science‹ in die Bereinigung für wissenschaftlichen Fortschritt aufgenommen.
    Damit war die Parapsychologie im akademischen Sinne salonfähig geworden.

 
35
 
    Zusammen mit Juliette waren wir zurück nach Washington gereist. Sie hatte nämlich bei Goldstone einen Besprechungstermin erhalten. Aber vorher, in Durham, verpaßte sie uns noch einige Nachhilfestunden in Parapsychologie. Glücklicherweise konnte ich mit einem guten Sortiment eigener telepathischer Erlebnisse aufwarten. Juliette lachte. Sie freute sich über meine guten Beispiele und schrieb sie auf. Diese Protokolle ließ sie mich später unterschreiben. Die Wissenschaft ist manchmal pingelig.
    Aber schließlich hatten wir dieses Institut nicht heimgesucht, um mit eigenen übersinnlichen Kräften zu prahlen. Was ist schon dabei, wenn man Geburtstage von fast fremden Menschen errät; mehr als dreihundertfünfundsechzig Möglichkeiten gibt es ja nicht – sofern es kein Schaltjahr war.
    Und sollte es tatsächlich mehr als nur Zufall sein, wenn man in der Acht-Millionen-Stadt Buenos Aires, während der Rush-hour, an einem zufällig aufgesuchten, fremden Platz, im Menschengewühl eine Freundin wiedertrifft, zu der man einige Stunden vorher beim Abschied gesagt hat: ›Ich find’ dich dann schon – um fünf! – irgendwo!‹
    Oder: Mein Haus in Bayern stürzt ein, nein, das gerade nicht – aber der Kronleuchter schwankt und das Bett. Und ich erwache von dem Gerüttel, und es ist gar kein Kronleuchter da, und alles ist still. Die Uhr zeigt zwölf Minuten nach vier. Und am nächsten Tag erfährt man dann, daß um vier Uhr zwölf ein Erdbeben Sizilien verwüstet hat. War auch das nichts als Zufall? Oder ich rufe in den Wald, mit lauter Stimme und ganz ohne Grund: Kustermann sieben ! – ›Kustermann sieben?‹ Ziemlich idiotisch, nicht wahr? Aber fünf Sekunden später kommt ein anderer Ruf wie ein Echo, kommt von einer Gruppe Männer, die sich um einen Punkt auf einer einsamen Waldlichtung geschart hat:
    »Kustermann sieben – Franz sechs – Ferdinand fünf …« Da wurde ein

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