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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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– aber diese Plaketten, das Wappen, das Ahornblatt, die Aufschrift CANADA: Kein Zweifel, die Aufnahmen wurden in diesem Wagen und von diesem Platz aus gemacht. Salan geht um den Wagen herum, nähert sich von rechts, starrt, wie jener Fremde, durch das Seitenfenster. Roczinski steigt aus, gibt den Apparat zurück, greift wieder zu Mikrofon und Tonbandgerät. Das Verhör geht weiter: »Der Geburtstag Ihrer Mutter, wann war der?«
    »Miß Cumber kommt sich vor wie bei der Polizei … Aber sie hat noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Also: Am 8. September. Der siebzigste Geburtstag ihrer Mutter. Die lebt nicht hier in Sudbury, darum traf es sich günstig, daß es ein Wochenende war; Miß Cumber konnte hinfahren. Einhundertvierzig Meilen. Fast drei Stunden. Mama wohnt in Ville Marie, auf der anderen Seite vom Lake Temiscaming, drüben in Quebec. Miß Cumber ist dort geboren.«
    Wieder auf der Veranda. Das Verhör zieht sich hin. Die Männer haben Getränke vor sich stehen, Limonade in Dosen, SPRITE und SEVEN UP.
    Miß Cumber wirkt müde, ablehnend, unkonzentriert. Ihr Interesse hat nachgelassen.
    »It was on Sunday-afternoon, on the way back… «
    » Am Sonntagnachmittag fuhr Miß Cumber zurück. Das war der 9. September – der Tag, an dem die UFOs gesichtet wurden?«
    »Ja, das ist möglich!«
    »Miß Cumber hat davon gelesen. Nein, sie hat unterwegs nicht fotografiert, was denn auch?! Da gibt es nichts zu fotografieren. Nein, sie ist nirgends stehengeblieben… nein… oder doch?«
    »Warten Sie mal – ja… vielleicht doch…?« Miß Cumber schüttelt den Kopf, sie versucht nachzudenken, klopft sich an die Stirn.
    »There is something in my mind… I can’t get it…«
    »Es fällt ihr nicht ein, sie kann sich nicht erinnern. Aber, da war etwas… Sie dachte nach: Na, sowas, das muß dir begegnen, ausgerechnet. Aber was war es nur? Irgend etwas war verschwunden, und sie blieb stehen mit dem Wagen und hat gewartet, daß es wieder auftaucht.«
    »Um es zu fotografieren?«
    Miß Cumber wird ärgerlich. Mit einer aggressiven Geste wischt sie die Fotos zur Seite. »What for?
    Wozu? – Was sollte ich denn fotografieren?« Aber sie ist unsicher geworden. Es scheint, als tauchten Bilder in ihr auf, halb verdeckt, verdrängt, blockiert:
    »Es ist natürlich möglich, vielleicht, aber wozu… Was war das nur…?«
    »Und die Männer?«
    Vielleicht hatte Roczinski nur zu wenig Geduld. Er hat die Gedankenbilder verscheucht. »Welche Männer?«
    »Die Sie fotografiert haben.«
    Roczinski legt die vier Aufnahmen wieder vor Miß Cumber hin. Sie schiebt sie beiseite – diesmal mit einer herrischen, abschließenden Geste:
    »Ich habe keine Männer fotografiert!«

24
     
     
     
    Rotes Laub huscht vorbei, Ahornbüsche flammen auf in der tiefstehenden Herbstsonne des Nordens. Glattpolierte Granit-platten wachsen aus dem Boden, türmen sich zu Bergen, stürzen ab in schwarze Moorseen, in denen unüberschaubar weit die weißen Strünke abgestorbener Birken stehen. Neben der sandigen Landstraße läuft eine Telegrafenleitung. Keine Siedlung, kein Haus.
    Miß Cumber und Roczinski sitzen vorne neben dem Fahrer des Taxis. Ein Finger folgt auf der Landkarte der schnurgeraden Linie dieser Straße.
    »Diese Straße, die Landstraße Nummer 64, verbindet Sudbury mit New Liskeard.
    Auf dieser Straße fuhr Miß Cumber am späten Nachmittag des 9. September – natürlich in umgekehrter Richtung. Sie fuhr nach Hause.
    Seit zwei Stunden durchqueren wir eine vollkommen gleichförmige Landschaft: felsiges Buschland, seendurchsetzte Waldtundra, die sich nun über viele tausend Meilen rund um die Hudson Bay bis hinauf zum Nördlichen Eismeer erstreckt.
    Und hier, irgendwo in dieser Gegend, müssen diese mysteriösen Fotos entstanden sein.«
    Roczinski vergleicht die Fotos mit der Landschaft, die sie gerade durchfahren. Verena Cumber wirft einen scheuen Blick hinter sich – in die Filmkamera.
    Das Taxi steht am Straßenrand. Roczinski und Miß Cumber sind ausgestiegen und sehen sich um. Miß Cumber schüttelt den Kopf, geht langsam die Straße hinunter.
    »Das ist nun schon der fünfte Platz, den wir in Erwägung ziehen. Die Aufnahmen sind zu klein und zu unscharf, es läßt sich nichts Genaues darauf erkennen. Miß Cumber erinnert sich zwar, hier gefahren zu sein – aber alles andere…«
    Verena Cumber läuft wie in Trance die Straße entlang. Kahle Hügel zu beiden Seiten. Niederes, verkümmertes Buschwerk zwischen verwitterten

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