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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Felsen. Ihre weiße Ölzeugjacke leuchtet vor dem schwarzen Granit.
    »Von wem stammen diese Aufnahmen wirklich? Und wer sind diese Männer? Notgelandete Piloten?
    Oder Astronauten?
    Wo kommen sie her?
    Wo sind sie jetzt?
    Ich fürchte, wir werden nichts darüber erfahren…« Der Taxifahrer hat mehrmals gehupt. Roczinski wird aufmerksam, dreht sich um zum Wagen. Der Fahrer deutet hinauf zu einem Hügel. Dort wandert Verena Cumber langsam, aber zielstrebig, nähert sich dem Grat, blickt hinüber in das jenseitige Tal, verschwindet zwischen den Felsen. Immer noch wie in Trance. Roczinski wirft einen Blick zur Kamera:
    »Los, komm!«
    Er rennt über die Straße, läuft den Hügel hoch, stolpert, strauchelt – die Kamera bleibt ihm auf den Fersen, das Bild springt mit jedem Schritt. Die Konturen zittern, der Horizont, der Hügelkamm schwankt, kommt näher. Die Jagd geht durch Büsche hindurch, über eine ausgewaschene Rinne hinweg, über eine glattpolierte Felsplatte.
    Roczinski ist oben angekommen. Er erstarrt – wirft einen verwirrten, fast entsetzten Blick zu der ankommenden Kamera, die nun an ihm vorbei hinunterschaut in das nächste Tal: Die Senke ist weit und flach. Ringsum wird sie von dunklen Hügeln begrenzt. Braunes Riedgras schwankt im Wind. Wellen wandern darüber hin.
    In der Mitte der Senke ist das Gras offensichtlich verbrannt. An drei Stellen zeichnen sich deutlich kreisrunde, schwarze Flecke ab, so scharf umrissen, als wären sie mit einem Zirkel gezogen. Sie haben einen Durchmesser von etwa dreißig Metern; etwa zwanzig Meter beträgt der Abstand von Kreis zu Kreis. Und zwischen den Kreisen wandert Verena, traumverloren, die Hände in den Taschen der weißen Jacke; sie wirft keinen Blick zurück, geht Schritt für Schritt langsam durch die schwarze Asche des Grases.
    Roczinski kommt den Hügel herunter. Am Rand der Senke bleibt er stehen. Zögernd geht er weiter durch das hüfthohe Gras bis zum ersten Kreis.
    Dann durchschreitet er ihn, durchmißt ihn mit großen Schritten – dreißig Meter!
    Er läuft zum nächsten Kreis. Dort begegnet er Verena. Sie geht an ihm vorbei, ohne von ihm Notiz zu nehmen. So wandern die beiden durch das Bild, jeder für sich, von einem Kreis zum anderen. Er hilflos, verwirrt, ungläubig – sie wie im Traum, wie unter Hypnose.
    Ihre Wege kreuzen sich, kreuzen sich ein zweites Mal. Keiner spricht.
    Roczinski winkt seinem Kameramann zu, er soll ausschalten.
    Das Bild wird orange, zerfließt in Weiß, reißt schließlich ab.
    Ende der zweiten Rolle.

25
     
     
     
    Kleine Pause.
    »Wie geht’s weiter?« – Walther Riedel war neugierig, und ich nahm das als gutes Zeichen. »Warten wir’s ab. Der Vorführer legt bereits ein.« 16-mm-Filme konnte man hier nicht pausenlos vorführen, dazu hätte man einen zweiten Projektor für dieses Format benötigt. Hier gab’s aber nur einen. Vorläufig. Überall auf der Welt dreht man Fernsehfilme auf 16 mm, seit Jahren schon. Nur hierzulande steckten die Techniker den Kopf in den Sand. Sie schworen auf das mehr als doppelt so breite, mehr als viermal so teure 35-mm-Kinoformat und verbaten sich jede Diskussion.
    Wir Regisseure fingen an zu meutern. Wir hatten keine Lust mehr, uns mit schweren und schwerfälligen Kameras herumzuplagen, wir wollten beweglich sein. Die Technik hielt das für eine modische Marotte.
    Aber dann wurde das Geld knapp, eine Kostenlawine überrollte das Fernsehen, und wir hatten gewonnen. In diesem Punkt wenigstens. Nun wurde umgerüstet, langsam, sozusagen unter Protest und Vorbehalt.
    Deshalb saßen wir da und warteten. Drei Leute in einem großen, leeren Kinosaal, verloren in der hintersten Ecke. Aber von daher rührte sie nicht, die Beklemmung, die einen in diesem Raum stets überfiel. Auch nicht von der mißverstandenen germanischen Thinghallen-Architektur, Baujahr 1941.
    Das Mißbehagen kam vom Geruch. Es roch säuerlich und beengend: Angstschweiß.
    Denn seit dreißig Jahren dient dieser Raum mit der sinnigen Bezeichnung ›V 1‹ der deutschen Filmindustrie für interne Vorführungen. Seit dreißig Jahren versammeln sich hier die Autoritäten, die Produzenten und Verleiher, die sogenannten ›Verantwortlichen‹ und ihre Söldnertruppe, das obrigkeitshörige Fußvolk der internen Kritik. Dann werden Erwartungen überprüft.
    Dann sitzt das Kapital zu Gericht über die ›Kreativen‹, über jene Leute, die es aus einem im Grunde unverantwortlichen schöpferischen Drang heraus gewagt hatten, mit dem Geld

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