Die denkenden Wäler
Das verstehe ich nicht, Kimilogan.« Sie setzte sich hin und lehnte sich an einen Ast.
»Von manchen Pflanzen essen wir die Früchte, andere verarbeiten wir zu Nahrung, die wir essen können, andere verwenden wir immer noch, wenn auch selten, beim Bau unserer Häuser. Und einige verwenden wir zu medizinischen Zwecken, so wie du die Tesshanda. Wir gebrauchen die Waldwelt ganz ähnlich wie ihr.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Born, »wir benutzen den Wald nicht. Wir sind ein Teil des Waldes, der Welt. Wir sind Teil eines Kreislaufs, der nicht unterbrochen werden darf. Wir benutzen den Wald ebensowenig, wie der Wald uns benutzt.«
Dazu murmelte Cohoma eine unverständliche Bemerkung. »Deine Leute dienen diesem Baum«, erklärte Logan langsam, »selbst wenn es euch nicht bewußt ist. In gewissem Sinne seid ihr seine Diener.«
»Diener.« Born überlegte und spreizte dann hilflos die Hände. »Was ist ein Diener?«
»Jemand, der auf Geheiß eines anderen einen Dienst erweist«, erklärte sie.
Verrückt und immer verrückter! Diese Riesen mußten doch hin und wieder geistesgestört sein, sagte sich Born. »Wir dienen dem Baum nicht, nein. Das Heim dient uns.« Logan musterte ihn etwas traurig und blickte dann zu Cohoma hinüber. »Die verstehen das nicht. Wahrscheinlich möchten sie das auch gar nicht.«
»Und warum nicht?« wollte Cohoma wissen. »Sie scheinen doch mit den Zuständen recht zufrieden.«
»Aber geistig bindet es sie«, konterte sie. »Wenn die Natur ihnen Nahrung und Unterschlupf liefert, gibt es weder eine Begründung, noch eine Motivation, das Wissen
zurückzugewinnen, das sie verloren haben. Es wird uns schwerfallen, sie zu resozialisieren. Sag, Born«, fragte sie mit sanfter Stimme und wandte sich ihm zu, während er Früchte, Nüsse und getrocknetes Graserfleisch auftischte, »könntest du dir vorstellen, daß du je deinen Baum verläßt?« Die Frage schockierte Born so, daß er einen Augenblick wie erstarrt dastand. »Das Heim verlassen? Du meinst für immer? Um nie zurückzukommen?« Sie nickte.
Jetzt hatte er die Bestätigung, daß die Riesen verrückt waren. Warum sollte je jemand daran denken, das Heim zu verlassen? Hier war Unterkunft, Nahrung, Gesellschaft, Sicherheit und Schutz vor dem Dschungel draußen. Außerhalb des Heimes gab e s nur Unsicherheit und am Ende den Tod.
Dann begriff er ihren Sinn und damit viele der seltsamen Worte der Riesen. »Ich verstehe«, sagte er mitfühlend. »Vorher habe ich das wirklich nicht begriffen. Es ist offenkundig, daß ihr kein eigenes Heim habt.«
»Doch, wir haben eines«, konterte Cohoma. »Meines würde dich überwältigen, Born. Es tut alles, was ich ihm sage, bietet mir zu essen an, wenn ich es haben will, und ich kann kommen und gehen, wann ich möchte.« »Und du mußt nicht für dein Heim sorgen?« »Nun ja, aber . . .« Logan lachte. »Jetzt hat er dich, Jan.«
Cohoma schien das etwas peinlich. »Nein, ganz und gar
nicht. Ich kann jederzeit weggehen, solange ich will, ohne mir Sorgen darüber zu machen. Aber diese Leute können das nicht.«
»Dann ist es kein Heim«, wandte Born ein. »Man sorgt für sein Heim, und das Heim sorgt für einen.«
»Nun, meines ist es jedenfalls«, brummte Cohoma und kostete eine Spiralnuß aus der Schale vor sich. Ihr Geruch erinnerte an Pfeffer und Sellerie. Er nahm eine zweite. »Ich verstehe«, erwiderte Born. Er war zu höflich, um das hinzuzufügen, was er wußte. Zwar war vom Bau dieser künstlichen Heimstätten keine Rede gewesen, aber Born wußte, daß die Heime der Riesen nicht lebten, daß sie tote Dinge waren, voll Gleichgültigkeit. Born könnte trotz all der Wunder nicht in einem toten Ding leben, tot wie die Axt. Ein totes Ding konnte man nicht emfatieren.
Der Gedanke an Äxte und das verblassende Tageslicht erinnerte ihn daran, daß die Sammler und Jäger bald zurückkehren würden. Er würde ihnen die Riesen vorführen, und am Ende würde vielleicht jemand endlich sagen, daß der Jäger Born etwas kühner und mutiger als die übrigen Jäger war.
Als er sich setzte und aß und sich dabei zurechtlegte, was er sagen würde, sah er unter der Blattledertüre Zehen. Er stand auf und schob den Vorhang beiseite. Din zuckte erschreckt zurück, aber Born war so mit der Vorfreude auf seinen eigenen Triumph beschäftigt, daß er gar nicht ärgerlich war. Statt dessen lud er den Jungen zum Essen ein und schob Muf zurück, als das Pelzigerjunge folgen wollte. Der Pelzball jammerte
Weitere Kostenlose Bücher