Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
beigetragen.
»Schwulis!«, riefen die drei Monsterkinder, »Jammerlappen!« und »Mongos!«.
Mongos? Das hatten wir alle noch nie gehört. Aber wir ahnten, dass es etwas ganz besonders Fieses war. Ich meine, es ist ja wohl auch unwahrscheinlich, dass drei schulbekannte Schläger sich aufreihen und einem dann Komplimente entgegenbrüllen, oder?
Also: Wir standen da und zitterten. Wir wussten, dass der Verbalattacke aller Voraussicht nach eine Portion Dresche folgen würde. Susann brach zuerst in Tränen aus, was ja okay war. Sie war ein Mädchen. Dann fing Sven an zu flennen. Und das war mir peinlich. Ich schämte mich für meinen Freund. Ich selbst war nämlich fest entschlossen, eine starke Figur abzugeben. Ich hob also meinen Kopf und sah die drei an. Cool wollte ich gucken, aber als ich diesem pöbelnden Mini-Mob entgegensah, entgleisten meine Züge. Meine linke Gesichtshälfte fing zu zittern an, als stünde sie unter Strom. Und sie hörte einfach nicht auf damit! Das Trio lachte angesichts meiner Schlotterfresse. Bernhard stotterte ein zaghaftes, aber ehrenwertes: »W-wir ha-haben euch d-d-doch n-nichts get-t-tan!« Und die Jungs lachten noch mehr.
Um uns herum versammelten sich immer mehr Kinder. Natürlich nicht, um uns zu helfen, sondern aus blanker Schaulust. Einige lachten, ein paar blickten uns bloß neugierig an. Zwei oder drei mögen vielleicht sogar Mitleid mit uns gehabt haben. Ich sah Dilbert, der bei uns zum Klassenclown avanciert war, ständig Sprüche klopfte und sich selbst stets etwas toller fand, als es die anderen taten. Auch er sah sich die Szene mit großem Interesse und, was selten bei ihm vorkam, schweigend an.
Und dann kam’s, es ging ganz schnell: Petra bückte sich, nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn ohne groß zu überlegen und mit einiger Wucht auf Kalle. Sie traf ihn an der Schulter. Und Kalle heulte auf. Während er sich krümmte, rasten die anderen beiden auf Petra zu. Susann und Sven liefen weg. Bernhard blieb einfach stehen und tat gar nichts. Ich bewegte mich immerhin auf die beiden Widerlinge zu, wenn ich auch nicht so recht wusste, wieso: Ich war kein kräftiges Kind. Petra hatte sich einen zweiten Stein geschnappt. Den warf sie nun, traf im Eifer des Gefechts aber niemanden. Kalle, der sich zwischenzeitlich berappelt hatte, stampfte ebenfalls auf uns zu. Ehe ich mich versah, hatte ich vom dicken Boris einen saftigen Nasenstüber kassiert. Niklas zog Petra an ihren kurzen, strubbeligen Haaren. Wahrscheinlich dachte der Idiot, Mädchen müsste man im Mädchen-Stil bekämpfen. Ich trat aus, kickte in alle Richtungen, traf aber nur Luft. Ich sah vermutlich aus wie Bruce Lee mit einem akuten Anfall der Parkinsonschen Krankheit. Und schließlich brachte mich das blindwütige Getrete dermaßen aus dem Gleichgewicht, dass Boris’ nächster Schlag mich zu Boden beförderte.
Was dann folgte, musste ich mir hinterher erzählen lassen. Ich lag ja am Boden, hatte von Boris noch einen Tritt in die Magengrube bekommen und sah den Rest des Kampfes nur als verschwommenen Tanz vieler Füße. Was passierte, war Folgendes: Dille, der Clown, war aus dem Zuschauerpulk nach vorn gestürmt, hatte sich einen dieser schweren Metall-Mülleimer geschnappt und ihn Niklas mit voller Wucht ins Kreuz gerammt. Er konnte seinen Überraschungseffekt sogar noch weiter ausnutzen, indem er einen Fausthieb in Boris’ Gesicht platzierte, dessen Folge in den nächsten Tagen zu einem veritablen und für diesen passionierten Schlagetot äußerst peinlichen Veilchen anwachsen sollte. Bevor das Ganze endgültig zu einem Massaker ausarten konnte, waren dann zwei Lehrer erschienen und hatten die Streithähne getrennt. Bernhard, der einfach nur dagestanden war, hatte wie durch ein Wunder nichts abbekommen. Es war, als könne er sich unsichtbar machen. Susann und Sven waren verschwunden. Und Dille, der unerwartete Retter, war von diesem Tag an unser Freund.
* * *
Dilbert lachte. Er drehte die Musik lauter, die Beatles brüllten Rock’n’Roll, und Dilbert rief seinem Bruder zu: »Schneller, Klaus! Schneller!«
Klaus drehte sich, hüpfte und juchzte. Es war kein wirklicher Tanz. Die Musik spornte Klaus zwar an, aber er ignorierte den Rhythmus. Er sprang nur auf und ab, drehte sich, lachte. Dilbert tänzelte atemlos um ihn herum. Das Lied war zu Ende, und die beiden Kinder ließen sich kichernd zu Boden fallen. Klaus, zwei Jahre jünger als Dilbert, kuschelte sich eng an seinen Bruder. »Erzähl’s noch
Weitere Kostenlose Bücher