Die Deutsche - Angela Merkel und wir
ausreichender Härte gegen griechische Reformverweigerer vorgegangen. Schließlich setzte ein medialer Ermüdungseffekt ein. Das Thema war »durch«, die angekündigte Katastrophe vorerst nicht eingetreten. Auch hatten die Gesichter der Kritiker aus dem Regierungslager für die Fernsehkameras den Neuigkeitswert verloren.
Die Frage ist, ob man dieses Ergebnis nicht früher und zu weit geringeren Kosten hätte haben können. Was wäre geschehen, wenn Angela Merkel bereits im Frühjahr 2010 dem Drängen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nachgegeben und umfangreichen Hilfen für Griechenland zugestimmt hätte? Hätten sich dann weitere Euro-Staaten gar nicht erst dem Misstrauen der Investoren ausgesetzt, vor allem Italien mit seiner beträchtlichen Wirtschaftskraft oder Spanien mit seiner damals noch recht geringen Gesamtverschuldung? Hat der Schuldenschnitt für Griechenland die Panik der Investoren erst richtig befeuert? Wäre es gar nicht zu dem gekommen,was wir jetzt die »Euro-Krise« nennen, und damit auch nicht zur gesellschaftlichen Großkrise in Südeuropa?
Es ist ein gewichtiger Vorwurf, der gewichtigste, den man Merkel in ihrer bisherigen Regierungszeit machen kann. Redet man mit Europafreunden aus der Union, dann merkt man: Das Thema beschäftigt sie. Der bislang einzige CDU-Politiker, der darüber offen sprach, war der von Merkel entlassene Umweltminister Norbert Röttgen. »Wenn wir so das Signal gegeben hätten, dass die EU zusammensteht, wäre eine Vertrauenskrise gar nicht erst entstanden«, sagte er zu Weihnachten 2012 in einem Zeitungsinterview. »Mit dem Wissen von heute spricht einiges dafür, dass dieses Signal seine Wirkung nicht verfehlt hätte.« Allerdings fügte der Ex-Minister hinzu: »Wer das damals schon gesagt hat, und zu denen gehöre ich nicht, darf die damalige Haltung der Bundesregierung heute kritisieren.«
In ähnlicher Weise ließ sich der polnische Außenminister Radosław Sikorski vernehmen. Der Mann steht als Mitglied der wirtschaftsliberalen polnischen Bürgerplattform nicht im Verdacht, der grenzenlosen Schuldenmacherei das Wort zu reden. »Das Dringen Berlins auf Einsparungen und Reformen ist verständlich, aber wenn der Druck zu groß ist, dann würgt das das Wirtschaftswachstum ab«, sagte er im Herbst 2012 der Süddeutschen Zeitung . »Gerade hier sind sehr schwere Fehler gemacht worden. Zum Beispiel in den ersten Hilfspaketen für Griechenland wurden sehr tiefe Einschnitte erzwungen im Austausch für Darlehen zu einem sehr hohen Prozentsatz«, fügte er hinzu. »Die Reparatur dieser Fehler wird Europa ziemlich viel kosten.«
Merkel sieht das anders, zumindest offiziell. Ohne die anfängliche Härte, versichern sie und ihre Getreuen, wäre es zu Reformen in den Krisenländern gar nicht erst gekommen. Was aber wäre geschehen, wenn Griechenland frisches Geld erhalten und sich ein paar Jahre später in derselben Situation wiedergefunden hätte? Wären die Spanier ohne den toxischen Effekt der Griechenland-Krise über ihr Immobiliendebakel wirklich schon hinweg? Und schließlich Merkels liebstes Argument: Ist die Krise für Europas Position im globalen Wettbewerb sogar eine Chance, weil sie nötige Reformen in ökonomisch schwächeren Ländern erzwingt? Die Fragen lassen sich im Nachhinein schwer beantworten.
Wirtschaftspolitisch »alternativlos« war Merkels Kurs womöglich nicht – ein Wort übrigens, das die Kanzlerin entgegen anderslautender Gerüchte zurückhaltender gebraucht als ihr Vorgänger Gerhard Schröder. 2004 benutzte sie das Wort für die Gesundheitsprämie, 2007 in einem Spiegel- Interview für die europäische Einigung. Als Merkel im Herbst 2008 die Sparguthaben der Deutschen garantierte, versuchte ihr Regierungssprecher, unter Verweis auf den Staatsnotstand den Journalisten das Fragen zu verbieten. »Ich möchte an Sie appellieren, die Wirkung dieser Aussage jetzt nicht durch das Stellen von unterschiedlichsten Detailfragen noch einmal zu relativieren«, sagte er am Tag nach dem Auftritt im Kanzleramt vor der Bundespressekonferenz. Im Februar 2009 sagte Merkel dann über die geplante Enteignung von Aktionären der Krisenbank HRE: »Wir haben das sorgfältig abgewogen. Ich halte dieses Vorgehen für alternativlos.« In ähnlicher Diktion formuliertesie zu den ersten Griechenland-Hilfen Anfang Mai 2010 vor dem Bundestag: »Die zu beschließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos, um die Finanzstabilität des Euro-Gebietes zu
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