Die Deutsche - Angela Merkel und wir
war eine unübersichtliche Lage stets Merkels größter Trumpf. Noch besser ist es, wenn sich namhafte Experten über den Krisenkurs zerstreiten. Wo »richtig« und »falsch« keine Kategorien mehr sind, öffnen sich politische Spielräume.
Während die Krise in anderen europäischen Ländern von den Niederlanden bis Griechenland Regierungen zu Fall gebracht hat, halten sich die Deutschen in schwierigen Situationen lieber ans Bewährte. Kein Wahlslogan war hierzulande erfolgreicher als Konrad Adenauers Parole »Keine Experimente!«. Das liegt nicht nur daran, dass es dem Land derzeit recht gut geht, sondern auch an einem tiefen Bedürfnis nach Sicherheit. Alles auf eine Karte zu setzen, also entweder durch die Verweigerung von Hilfen den Zusammenbruch des Euro zu riskieren oder aber durch unkonditionierte Eurobonds die eigene Solvenz zu gefährden, ist die Sache der Deutschen nicht. Dafür sind sie dann doch zu merkelig.
So kam es, dass ausgerechnet im Herbst der Euro-Wende die Umfragewerte der Kanzlerin auf neue Höhen stiegen. Schon im Sommer 2012 waren 66 Prozent der Deutschen mit Merkels politischer Arbeit zufrieden, so viele wie seit der Bundestagswahl 2009 nicht mehr. Auch 60 Prozent der Grünen-Wähler und immerhin noch 50 Prozent der SPD-Wähler fanden Merkels Krisenkurs gut. Auf dem CDU-Parteitag Anfang Dezember in Hannover, der die Christdemokraten bereits aufs Wahljahr einstimmen sollte, spielte das Thema nur noch eine untergeordnete Rolle, die Parteivorsitzende befasste sich damit erst im hinteren Teil ihrer Rede. »Ich könnte es mir jetzt leicht machen«, sagte sie. »Ich könnte sagen: Im Grunde ist der Euro doch gerettet, jedenfalls so gut wie.« Damit sprach sie aus, was im Land wohl viele dachten, um dann fortzufahren: »Doch ich sage hier ausdrücklich: Wir sollten vorsichtig bleiben.« So blieb vor allem sie selbst auf dersicheren Seite. Zugleich deutete sie an, dass die Deutschen eine bewährte Krisenkanzlerin auch über den Wahltermin im September 2013 hinaus brauchen könnten.
Auf diesem Grat bewegt sich Merkel: Sie muss hoffen, dass sich ihre Euro-Politik bis zur Wahl nicht als gescheitert erweist und dass die Zeitläufte sie nicht zwingen, den Deutschen schon vorher unangenehme Rechnungen zu präsentieren. Gleichzeitig weist sie ihr Volk gelegentlich auf die weiter bestehenden Risiken hin, damit es sich nicht zu sicher fühlt und bereit ist, leichtfertig mit einem neuen Hausherrn im Kanzleramt zu experimentieren. Die SPD meidet das Europa-Thema. Die Kanzlerin ist dort unangreifbar, auch weil ihr die Opposition an entscheidenden Punkten aus nachvollziehbaren staatspolitischen Gründen immer zugestimmt hat.
Die Kosten sind damit nur aufgeschoben. Der Kurswechsel vom Herbst 2012 führte dazu, dass Gelder aus den Hilfspaketen früher überwiesen werden als ursprünglich geplant. Eigentlich hätte das einen neuen Hilfsbeschluss erfordert. Unvermeidlich wird er spätestens, wenn das Geld aus den bereits bewilligten Tranchen ausgeht – also mutmaßlich nach der Bundestagswahl. Womöglich müssen dann öffentliche Gläubiger auf Forderungen verzichten, also auch der deutsche Finanzminister. Wer auch immer das dann sein mag: Er hat ein großes Loch in seinem angeblich schon 2014 strukturell ausgeglichenen Etat.
Noch unbequemer wird die Lage, wenn gleichzeitig im Inland gespart werden muss. Historisch niedrige Ausgaben für Zinsen und für Arbeitslose, im GegenzugRekordeinnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen: So rosig wird es um den Bundeshaushalt nicht für alle Zeiten bestellt sein, zumal sich Merkel rechtzeitig zum Wahlkampf aus den Kassen bedient hat. Zuschüsse für die Renten- und Gesundheitskasse wurden aus Gründen der Haushaltskosmetik gekürzt. Die Praxisgebühr wurde der FDP zuliebe abgeschafft, auch das reißt ein Loch in die Finanzen der Krankenkassen. Zum Auftakt des Wahljahrs berichtete der Spiegel über Planspiele des Finanzministeriums, wie nach überstandener Bundestagswahl der Haushalt zu sanieren sei.
Es bleiben schließlich die großen Pläne für Europa, auch das hatte eigentlich schon Bestandteil des Entscheidungsherbstes 2012 sein sollen. Ungewohnt pathetisch bekannte Merkel sich Anfang November vor dem Europaparlament zu Fortschritten bei der europäischen Integration. »Ich setze mich dafür ein, dass wir im Dezember einen ehrgeizigen Fahrplan für eine erneuerte Wirtschafts- und Währungsunion beschließen«, fügte sie hinzu. »Ich bin dafür, dass eines Tages die
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