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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Kommission so etwas ist wie eine europäische Regierung. Ich bin dafür, dass der Rat so etwas ist wie eine zweite Kammer. Ich bin dafür, dass das europäische Parlament für die europäischen Zuständigkeiten eintritt. Anders wird es nach meiner Auffassung auf die lange Strecke gar nicht gehen.«
    Wie und wann das geschehen könnte, dazu äußerte die Kanzlerin sich wohlweislich nicht. Bis zum Brüsseler Dezembergipfel sechs Wochen später blieb nichts von diesen Ideen übrig. Im Vorfeld hatte sich erwiesen, dass der Weg dorthin schwieriger werden würde als gedacht – undmit neuen finanziellen Ansprüchen vor allem der Franzosen gepflastert wäre. Damit will Merkel die Deutschen vor der Wahl nicht belasten. Langfristig strebt sie jetzt bilaterale Verträge an, in denen sich Mitgliedstaaten gegenüber der Union zu Reformen verpflichten.
    So entsteht vor der Wahl eine paradoxe Situation. In fast jeder Rede verkündet Merkel den Deutschen, dass die Welt nicht schläft, dass Europa dringend Reformen braucht, dass wir mithalten müssen im globalen Wettbewerb. Wenn es jedoch um konkrete Reformen im eigenen Land geht, tut sie nichts. Mehr noch: Ihre hohen Sympathiewerte sind nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sie den Deutschen alle Zumutungen vom Leib hält. Genau betrachtet, geht es nicht nur um Zumutungen, sondern um jede Art von Veränderung. Auch zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dominiert noch immer »Die Suche nach Sicherheit« das Denken der Westdeutschen, wie der Historiker Eckart Conze seine 2009 erschienene Geschichte der Bundesrepublik überschrieb. Das hat die Physikerin, die der Systembruch von 1989/90 in ein Politikerleben katapultierte, spät begriffen, dafür aber umso mehr verinnerlicht. Anders als innerparteiliche Kritiker gelegentlich behaupten, wurde sie damit eine Konservative.

KAPITEL 3:
KONSERVATIV
    Dunkles Holz, schwere Bierkrüge, deftige Schweinshaxe. Das alles soll Bodenständigkeit ausstrahlen, aber es ist im Berliner Bierlokal Paulaner’s im Spreebogen nur Kulisse. Ringsherum sind in den späten Neunzigern Bürotürme emporgewachsen, in einem davon hat sich nach dem Regierungsumzug das Innenministerium eingemietet. Hier spielt eine Geschichte, die Angela Merkel eine Zeitlang gern erzählte. Es war im Frühjahr 2000, Wolfgang Schäuble hatte wegen der Spendenaffäre den CDU-Vorsitz niedergelegt, Merkel tingelte als Generalsekretärin einer kriselnden Oppositionspartei von Regionalkonferenz zu Regionalkonferenz, droben im Ministerbüro saß der Sozialdemokrat Otto Schily und durfte kommandieren.
    »Schorsch«, fragte Merkel beim Bier, »glaubst du, dass ich für euch im Süden wirklich konservativ genug bin?« Schorsch, das ist Georg Brunnhuber, einflussreicher Chef der baden-württembergischen CDU-Bundestagsabgeordneten. »Konservativ sind wir selbst«, antwortete er. »Aber wenn du es fertigbringst, dass unsere Töchter CDU wählen, dann hast du mehr erreicht.«
    Am 10. April 2000 wählten die Delegierten des Essener CDU-Parteitags Angela Merkel zu ihrer neuen Vorsitzenden. Sie war die erste Frau an der Spitze der Partei, die man gemeinhin die konservative nennt, sie kam zudem aus dem Osten und machte erst seit zehn Jahren Politik. Lange hatte sie als Kohls »Mädchen« gegolten, aber kurz vor Weihnachten in einem Zeitungsbeitrag mit dem Patriarchen gebrochen. 2002 musste sie dem Bayern Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur antragen, zu ihrem Glück, wie man heute weiß. Ihre halbe Niederlage gegen Gerhard Schröder 2005 verwandelte sie als Kanzlerin der großen Koalition in einen ganzen Sieg.
    Zehn Jahre später, Anfang 2010, sitzt Georg Brunnhuber mit dem Journalisten in einem Café am Stuttgarter Schlossgarten, von draußen scheint die erste warme Frühlingssonne herein. »Angela hat die Partei gerettet«, sagt er über die Zeit des Spendenskandals. Brunnhuber ist oft in Rom, beim Papst. Er weiß, wie die italienische Christdemokratie nach einem ähnlichen Spendenskandal im Nichts verschwand. Wenn er über sich und Merkel spricht, streut er oft ein »Schorsch« oder ein »Angela« ein. Es soll Nähe demonstrieren. Brunnhuber kommt von der Ostalb. Das heißt, er ist sehr katholisch und ziemlich konservativ. Wenn einer wie er nah dran sein will an Merkel, dann zeigt das, wie weit es diese Frau aus Templin in der CDU gebracht hat.
    Die Bundestagsabgeordnete Nadine Schön, die damals noch den Nachnamen Müller führt, könnte Brunnhubers Tochter sein. Wenn es nach

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