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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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faktischen Allparteienkoalition die Demokratie in Deutschland zugrunde gerichtet hat. Unter dem Gesichtspunkt der politischen Erfolgs- oder Gesinnungsethik kann niemand von einer Kanzlerin ernsthaft die Rückkehr zu Konfliktlinien verlangen, die es in der Gesellschaftkaum noch gibt. Und im Vergleich zu anderen Ländern sind die pragmatischen Deutschen mit ihrer pragmatischen Regierungschefin nicht schlecht gefahren: Die Italiener sind seit fast zwei Jahrzehnten in Anhänger und Gegner Silvio Berlusconis tief gespalten, in Spanien beharken sich konservative und sozialistische Teile der Öffentlichkeit, als wollten sie den Bürgerkrieg fortführen, und in Frankreich hat die politische Klasse für die praktischen Probleme der wirklichen Welt nur selten ein offenes Ohr. Beim Blick auf derlei politische Blockaden scheint die deutsche Version der Konkordanzdemokratie das kleinere Übel zu sein. Und wenn sich Merkels politische Kräfte erschöpfen, wird sich ein Sozialdemokrat finden, der das Pendel des demokratischen Machtwechsels in Schwung hält.
    So wenig ein abschließendes Urteil über Merkels Euro-Politik schon möglich erscheint: Ihre Leistung besteht schon jetzt darin, dass wichtigste Land des Kontinents in der Krise ruhig gehalten und die große Utopie der Vereinigten Staaten von Europa heruntergedimmt zu haben auf eine Politik der kleinen Schritte, ohne sie aufzugeben. Morgen droht der Zusammenbruch der Währung, der Wirtschaft, des Kontinents? Dann lasst uns doch erst einmal die Details der Griechenland-Umschuldung anschauen, anschließend befassen wir uns mit den genauen Kompetenzen der europäischen Bankenaufsicht – und wenn es dann noch Leute gibt, die Zeit für Aufregungen haben, verhandeln wir erst einmal über den europäischen Haushaltsplan der nächsten sieben Jahre.
    So funktioniert Geschichte nun einmal, die Physikerin Merkel hat das mindestens so gut begriffen wie der HistorikerKohl. Bekanntlich ist die erste deutsche Demokratie vor 80 Jahren an der Sehnsucht nach großen Lösungen zerbrochen und nicht an einer überbordenden Liebe zum Klein-Klein des unschönen Kompromisses. Die letzte Phase der Weimarer Republik begann mit der Unfähigkeit der Parteien, sich auf die Beitragshöhe bei der Arbeitslosenversicherung zu einigen, und sie endete 1933 mit dem dringenden Wunsch einer reaktionären Kamarilla um den Reichspräsidenten, dem Parteienhader lieber ein Ende mit Schrecken zu bereiten, als dem vermeintlichen Schrecken ohne Ende weiter zuzusehen. Mit etwas mehr Pragmatismus hätte man sich auch ohne den böhmischen Gefreiten noch ein paar Monate über die Krise hinweghangeln können, und schon ein Jahr später hätten die Dinge vielleicht ganz anders ausgesehen. Jedenfalls gab es erste Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung – ob trotz oder wegen der viel kritisierten Austeritätspolitik des vormaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning, das ist unter Historikern umstritten. Und auch die Zustimmung der Wähler zu den Nationalsozialisten ging zurück, was Hitlers große Eile erklärte, nun ganz schnell in die Reichskanzlei an der Berliner Wilhelmstraße einzuziehen.
    Das alles erscheint heute gottlob unendlich weit entfernt. Die Geschichte mag noch manche Schrecken bereithalten, aber gewiss kein Ende. Für das, was Merkel mit ihren Deutschen und in Europa unter den Umständen der verflüssigten Demokratie immerhin geschafft hat, gibt es ein schönes italienisches Wort. Es heißt »governabilità«, auf Deutsch: Regierbarkeit. In Zeiten großer Krisen ist das nicht wenig.

DANK
    Ein Buch wie dieses ist nicht denkbar ohne die Gespräche, die ich über die Jahre mit Politikern, Experten, Kollegen aus eigenen und fremden Redaktionen geführt habe. Wichtige Hinweise verdanke ich auch Freunden und Bekannten, die meinten, über das Thema gar nichts Neues mehr sagen zu können – und die mich mit einer absichtslos hingeworfenen Bemerkung dann doch auf neue Wege führten. Dafür danke ich allen, die ich hier gar nicht namentlich nennen kann und die das zum Teil auch selbst nicht möchten. Besonders hervorheben will ich jedoch die Redaktionen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und der taz, die mir die intensive Beschäftigung mit der Bundespolitik ermöglicht haben; in einzelnen Abschnitten des Buches greife ich auf eigene Beiträge aus dieser Zeit zurück. Mein Dank gilt meinem Herausgeber Holger Steltzner und meinem Ressortleiter Rainer Hank, die mir großzügig eine sechswöchige Auszeit zur

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