Die Deutsche - Angela Merkel und wir
sichern.« Schon zwei Wochen später schwächte sie die Formulierung jedoch ab. »Deshalb gab es zur Sicherung der Stabilität des gesamten Euro-Raums keine vernünftige Alternative«, sagte sie in der Regierungserklärung zum Hilfsfonds EFSF.
Um also im Bild zu bleiben: »Ohne vernünftige Alternative« mochte der Euro-Kurs der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen erscheinen. Dass die Griechenland-Hilfen die Akzeptanz, die sie mittlerweile erfahren, bei noch so gutem Zureden bereits zu Beginn der Euro-Krise gefunden hätten: das erscheint auch im Rückblick als sehr fraglich. Dafür muss man sich nur in den Mai 2010 zurückversetzen, als die Bild -Zeitung ihre Schlagzeilen im Schrifttypus griechischer Spezialitätenrestaurants publizierte und Bundestagsabgeordnete Vorschläge zum Verkauf griechischer Inseln unterbreiteten. Auch war das Bewusstsein, dass die Krise das eigene Geld in Gefahr bringe, damals nur marginal verbreitet. Griechenland schien ein exotisches Spezialproblem zu sein.
Noch im Sommer 2012 spekulierte der britische Economist über Geheimpläne der Kanzlerin, die Währungsunion zu zerschlagen und Deutschland aus dem Strudel immer neuer Belastungen herauszuziehen: »In Versuchung, Angela?« Trotz der reißerischen Aufmachung kam die Redaktion aber letztlich zu dem Ergebnis, »Rettung wäre billiger als der Zusammenbruch« – und betonte, diepolitischen Kosten einer neuen Balkan-Hölle seien in diesem Szenario noch gar nicht eingerechnet. Die Europa-Ausgabe des amerikanischen Magazins Time nahm die Kanzlerin unmittelbar nach ihrer vermeintlichen Niederlage auf dem Juni-Gipfel in Schutz. »Warum es alle lieben, Angela Merkel zu hassen – und warum alle falsch liegen«, lautete der Titel. Im Text hieß es dann: »Sie hat gute Gründe für ihren Widerstand gegen große Pläne und die Akzeptanz kleinerer Bewegungen.« Die linksliberale römische Zeitung La Repubblica kommentierte im August den sich abzeichnenden Kurswechsel geradezu euphorisch. »Ist das nun eine Verwandlung von der Patriotin zur Europäerin? Oder ist es die Anpassung an den ›Zeitgeist‹, mit Hollande und Monti anstelle von Sarkozy und Berlusconi?«, fragte das Blatt, um die Antwort gleich selbst zu geben: »Wahrscheinlich von beidem etwas. Nicht erst seit gestern zeigt Angela Merkel einen Charakter, der fähig ist zur Wende und zu gewagten Sprüngen.«
Bei allen Kosten, die Merkels Kurs ökonomisch verursacht haben mag: Politisch bleibt es ein Meisterstück, wie sie die zeitweise sehr widerstrebenden Deutschen an die Politik der Euro-Rettung herangeführt hat, bis sie im günstigen Augenblick unter das Thema einen vorläufigen Schlusspunkt setzte. Merkel erwies sich einmal mehr als eine Art Deutschlandtherapeutin. Sie bewegte sich auf die Deutschen zu – und gewöhnte ihre Landsleute ganz langsam an die neue Realität. Mehr noch als über die Kanzlerin sagt das etwas über die Deutschen aus, deren Haltung zu Europa viel ambivalenter ist, als es schwankende Umfragewerte verraten. Nicht, dass es eine scharfe Spaltungin zwei widerstreitende Lager gäbe. Die Ergebnisse der Umfragen legen eher den Schluss nahe, dass viele der Befragten selbst hin- und hergerissen sind. So gaben im ARD-Deutschlandtrend vom Juli 2012 insgesamt 54 Prozent von ihnen an, sie könnten sich eine gemeinsame Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten vorstellen. Vier Fünftel dieser Befürworter knüpfen das aber an klare Regeln. Eigentlich ginge das nur mit mehr Kompetenzen für Europa. Käme es zu einer Volksabstimmung über diese Frage, wäre jedoch die Mehrheit der Befragten dagegen. Wahrscheinlich ist es so, wie viele Wahlstrategen vermuten: Die Deutschen möchten mit den Einzelheiten am liebsten nicht behelligt werden. Sie wollen ihre Währung behalten und die Bewohner der Krisenländer nicht leiden sehen, aber kosten soll es möglichst nichts. Das lässt an ein Bismarck zugeschriebenes Bonmot denken: »Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!«
Immer wieder sah es danach aus, als könnten Merkel die Fäden entgleiten. Zu Hause ein wankelmütiges Volk, eine erodierende Koalition und eine nach Prestigegewinn strebende Opposition, in den europäischen Hauptstädten auftrumpfende Kollegen und in Washington ein drängender Präsident: Wie sollte sich eine Regierungschefin mit noch so viel Erfahrung in diesem unwegsamen Gelände auf Dauer behaupten können? Dabei
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