Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Alter von 63 Jahren noch immer in einer Etagenwohnung in einer Madrider Neubausiedlung. »Vicente del Bosque verliert nie die innere Ruhe, bleibt immer freundlich und ist sich der Relativität seiner eigenen Bedeutung stets bewusst«, schrieb ein Sportreporter anlässlich der Weltmeisterschaft 2010. Dann zitierte er den Gerühmten selbst: »Nur der gewinnt, der intelligent und bescheiden ist.«
Auch die meisten Vorgänger Merkels pflegten einen zurückhaltenden Stil. Weder Adenauers Haus in Rhöndorf noch Helmut Schmidts Wochenendhaus am Brahmsee oder Helmut Kohls finsterer Bungalow in Oggersheim atmete auch nur den Hauch des Luxuriösen, und sofern es die Biografie einigermaßen hergab, strichen die deutschen Regierungschefs ihre bescheidene Herkunft heraus. Die Wähler wussten das zu schätzen. Sie schienen es von ihren Spitzenpolitikern sogar einzufordern, mit einer bezeichnenden Ausnahme in jüngerer Zeit: Dem fränkischen Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg wurde sein adeliger Lebenswandel nicht nur nachgesehen, er wurde dafür sogar bewundert. Bisweilen konnte man lesen, der familiäre Reichtum gebe dem Politiker eine Unabhängigkeit, die Emporkömmlingen fehle.
Als sich der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröderabschätzig über den »Baron aus Bayern« ausließ, beschimpfte ihn eine seriöse Regionalzeitung als »prolligen Parvenü«. Seine Polemik gegen Merkels Wahlhelfer Paul Kirchhof, den »Professor aus Heidelberg«, vier Jahre zuvor hatte noch funktioniert. In solchen Momenten blitzt ein konservativer Grundzug der deutschen Gesellschaft hervor: Wen die Geburt an die Spitze der Gesellschaft stellt, der steht dort zu Recht; wer sich den Titel durch eigene Leistung erarbeitet, gilt als anmaßend oder elitär. Allerdings schien Guttenberg, indem er neben dem ererbten auch einen akademischen Titel anstrebte, die Normen der bürgerlichen Leistungsgesellschaft zu akzeptieren – ohne sie dann freilich zu erfüllen.
In dem erfolgreichen Fernsehfilm über Aufstieg und Fall Karl-Theodor zu Guttenbergs wurde die Bundeskanzlerin zur eigentlichen Hauptperson, obwohl sie nur in wenigen Szenen auftrat. »Angela Murkel, genial gespielt von Katharina Thalbach, ist die regelnde Klugheit hinter all den Wirrköpfen, Zauderern und Karrieristen«, schrieb ein Rezensent. »Sie leckt die Eintopfkelle ab und isst beim Abendessen die Wurst auch ohne Brot. Eine Person voller Schrullen, doch nur den menschlichsten. Unterläuft ihr doch mal ein Fehler, dann wird sie vom Ehemann, dem ›Herrn Professor‹, sanft korrigiert. Das Land wird von einem Frühstückstisch regiert, die übrige Politik: nur Krümel neben dem Teller.« Nach dem Fall des fränkischen Blenders stand die bescheidene Protestantin aus der Uckermark umso glänzender da. Dass sie Guttenberg zwischenzeitlich mit dem Argument stützte, sie habe ihn nicht als »wissenschaftlichen Assistenten« eingestellt,mag in der Wortwahl ungeschickt gewesen sein. Machtpolitisch war es völlig richtig: Nur weil sie jeden Anschein vermied, aktiv am Ministersessel des Freiherrn zu sägen, ging sie ohne Ansehensverlust aus der Affäre hervor. Merkels Vertraute Annette Schavan, die sich als Bildungsministerin »nicht nur heimlich« für die Verfehlungen des Kabinettskollegen schämte, bezahlte auch wegen dieser Intervention später einen hohen Preis.
Zu Merkels Glück traten politische Konkurrenten nahezu im Jahresrhythmus an, durch ihr Verhalten die bescheidene Lebensführung der Kanzlerin in ein günstiges Licht zu tauchen. Auf die Guttenberg-Affäre folgte ein Jahr später der Fall des Bundespräsidenten Christian Wulff, der die Grenzen zwischen privaten Beziehungen und öffentlichem Amt verschwimmen ließ. Nach einem weiteren Jahr profitierte die vergleichsweise bescheiden entlohnte Kanzlerin von der Debatte um die Nebeneinkünfte des SPD-Kanzlerkandidaten.
Merkel vermittelt nicht den Eindruck, dass sie einen teuren Lebensstil für erstrebenswert hielte, wenn sie keine politischen Rücksichten nehmen müsste. So sehr sich die frühere DDR-Bürgerin ihre Bewunderung für Kapitalismus und freie Marktwirtschaft erhalten hat, so sehr sie auch in ihren Reden die Konkurrenz mit China oder Brasilien herausstreicht und in der Euro-Krise den ganzen Kontinent zum Leistungsprinzip erziehen will: Mit Sympathie für den exzessiven Lebensstil der Reichen und Schönen ist das nicht verbunden. Das Fraternisieren mit der männlichen Welt der Wirtschaftsbosse war Merkel anfangs schon wegen
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