Die Deutsche - Angela Merkel und wir
ihres Geschlechts verwehrt. Auchdiese Erfahrung machte die Physikerin aus dem Osten gegen eine kritiklose Bewunderung der Wirtschaftseliten immun.
Das Abendessen, das sie im April 2008 zum 60. Geburtstag des Bankmanagers Josef Ackermann gab, würde sie heute nicht mehr veranstalten. Wenige Monate vor der Lehman-Pleite galt »Banker« allerdings noch nicht als Schimpfwort, und auf dem Unternehmerflügel der eigenen Partei stand Merkel wegen mangelnder Wirtschaftsnähe in der Kritik. Als exzessive »Banker-Sause« konnte das Treffen bei ernsthafter Betrachtung nicht durchgehen. Wie investigative Recherchen ergaben, standen auf dem Speiseplan Beelitzer Spargel und Kalbsschnitzel. Das Frühgemüse lieferte leicht überteuert ein örtlicher Bauer, das Fleisch stammte aus dem Metro-Großmarkt zu 16,79 Euro pro Kilo.
Anders als manchem Wirtschaftsführer käme es Merkel nicht in den Sinn, sich von einem aufwändigen Lebensstil abhängig zu machen. Der frühere Bertelsmann- und Karstadt-Manager Thomas Middelhoff klagte nach dem Ende seiner Karriere die Freigabe eingefrorener Konten bei seiner Hausbank ein, mit der Begründung, er benötige rund 70 000 Euro pro Monat zur Aufrechterhaltung seiner gewohnten Existenz. Allein den laufenden Unterhalt seiner beiden Anwesen in Bielefeld und an der Côte d’Azur veranschlagte er mit der Hälfte dieser Summe, einschließlich Personalkosten und Gartenpflege.
Angela Merkel hingegen, die Lobpreiserin der Marktwirtschaft, hält es lieber mit protestantischer Bescheidenheit. Ihren Zweitwohnsitz hat sie nicht an der Côte d’Azur,sondern in der Uckermark. Dort liegt keine Yacht am Pier, es steht nur ein VW Golf im Carport, und sie beschäftigt keine Luxusköche, sondern bereitet noch selbst Kartoffelsuppe zu. Gelegentlich berichtet Merkel von Einkäufen bei Ikea, wo sie sich artig in die Schlange stellt und Autogrammwünsche normalerweise ablehnt. Neuerdings kauft sie manchmal bei Manufactum ein. Das verbindet sie mit der grünen Mittelschicht, es gilt aber immer noch als bodenständig und ist von Middelhoffs Übertreibungen weit entfernt. Damit befriedigt Merkel ein Bedürfnis der Deutschen, für die Middelhoffs Lebensstil nicht nur Verteilungsfragen aufwirft, sondern auch ein ästhetisches Problem darstellt.
Ähnliches gilt für die Urlaubsreisen der Kanzlerin. Den Sommerurlaub verbringt sie meist in Südtirol, im abgelegenen Sulden zu Füßen der Ortlergruppe. Dort wohnt sie in einem kleinen Hotel mit 30 Zimmern, in dem das teuerste Doppelzimmer zur Hauptsaison 188 Euro kostet, die obligatorische Halbpension inklusive. Das Hotel an der Südküste Ischias, in dem Merkel meist die Ostertage verbringt, ist zwar etwas teurer, aber weit vom Luxus der Berlusconi-Villa an der sardischen Costa Smeralda entfernt. Statt Golf zu spielen, wandert sie mit ihrem Mann in den Bergen. Während des Urlaubs schirmt sie sich von der Außenwelt so gut es geht ab. Zugleich wird alljährlich ein Foto verbreitet, das sie beim Wandern zeigt.
Früher war sie meist in Trekkingkluft zu sehen. Seit einigen Jahren häufen sich die Bilder, die Merkel auch während des Sommerurlaubs in ihrem Berliner Dienstjäckchen zeigen, wobei sie aus den Edition-Suhrkamp-Farbenihres Kleiderschranks die helleren Töne wählt. Das ist ein subtiles Signal, dass die Kanzlerin auch von Südtirol aus weiter an der Rettung Europas arbeitet, nur eben mit Hilfe des Mobiltelefons und rund 700 Kilometer Luftlinie vom Kanzleramt entfernt. Wahrscheinlich wäre es in manchen Jahren stressfreier gewesen, sie hätte in Berlin ausgeharrt. Aufs Wegfahren zu verzichten ist für einen Spitzenpolitiker allerdings keine gute Idee. Es wirkt unsouverän, gilt als Zeichen von Nervosität. Eine Abkehr von der Routine hätte die Börsen verunsichert. Um den Euro zu retten, muss die mächtigste Frau Europas auch ihre Sommerferien marktkonform ausgestalten.
Italienische Medien berichten allsommerlich über arme Landsleute, die sich Ferien am Strand nicht leisten können, das aber nicht zugeben wollen und sich deshalb für einige Wochen in ihrer Wohnung verbarrikadieren. Sie kaufen Vorräte an Lebensmitteln, halten die Fensterläden verschlossen und schleichen übers Parkett. Hauptsache, sie haben in den Augen der Nachbarn der sozialen Konvention Genüge getan. Politiker verhalten sich wie die italienischen Familien, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Auch sie täuschen Urlaub eher vor, als dass sie ihn wirklich machen. Selbst in ruhigeren Zeiten
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