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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Orgasmus so lange hinaus, bis er sich nur noch im Liebestod entladen kann. Mozart oder Wagner. Champagner-Arie oder Tristan-Akkord. Besinnungslos überschäumende Lebensgier oder ein Drängen, das, je mehr es seiner Auflösung zustrebt, desto heillosere Spannung erzeugt.
    Spätestens jetzt hilft nur noch eins: Gehen Sie an Ihr Plattenregal, Ihren CD-Schrank, suchen Sie im digitalen Musicstore! Nur hören Sie! Hören, hören, hören …
     
    >Abendstille, Abgrund, Bergfilm, Forschungsreise, Gemütlichkeit, Heimat, Männerchor, Musik, Spargelzeit, Vater Rhein, Waldeinsamkeit, Wanderlust, Winnetou

Sozialstaat
     
    In Augsburg, zwischen zwei Zügen, unterwegs von Ulm nach München, kann man einen Blick ins Brecht-Haus werfen oder besser noch in die Fuggerei. Der eine zeigt den frechen Dichter in seinem Idyll der Seitengasse, mit sprudelndem Bach in der unmittelbaren Nachbarschaft, der andere einen Mittelalterhof, Beispiel sozialer Fürsorge.
    Den Dichter hat sein früher antikapitalistischer Gestus aus der Theaterrevue Die Dreigroschenoper mit einem Schlag bekannt gemacht. Er konnte mit seiner sarkastischen Sozialkritik, die, dem Zeitgeist folgend, vor allem die Infragestellung bürgerlicher Moral zum Gegenstand hatte, sein Image als linker Schriftsteller begründen und in der Folge verbindliche politische Denkfiguren für die nachrückenden Generationen schaffen, die bis heute wirksam sind und eine freie Einschätzung der öffentlichen Angelegenheiten durch die Schriftsteller behindern. Die gesamte Brecht-Nachfolge ist von Marx geblendet.
    Dabei hat der Meister seinen Marx wohl gar nicht komplett gelesen. Er kannte dessen Postulate vielmehr aus den Exzerpten des Karl Korsch, eines populären Marx-Exegeten der zwanziger Jahre, Parteikritiker und Sozialphilosoph, dessen Schriften auch später noch im 68er Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) eine Rolle spielen sollten.
    Brecht hatte Erfolg, aber recht hatte er nicht. Er triumphiert mit seiner Verkürzung der sozialen Frage zum plakativen bolschewistischen Wahlspruch: Eigentum ist Diebstahl. So ist das, was ursprünglich einmal das soziale Gewissen der Kunst sein wollte, zur simplen Intellektuellen-Folklore abgestiegen. Wer kennt nicht Brechts böses Wort aus der Dreigroschenoper, in der gedruckten Fassung von 1930: »Was ist der Einbruch in eine Bank gegen den Besitz einer Bank?«
    Dass Eigentum keineswegs Diebstahl ist, sondern die Grundlage jeglicher sozialen Ordnung bildet und damit auch die Prämisse für das Wohlergehen des Bertolt Brecht, erfährt man bloß ein paar Häuser weiter in der Augsburger Innenstadt, in der Fuggerei. Vor fünfhundert Jahren haben dort die Reichsten vor Ort, die Fugger (auch die »Augsburger Medici« genannt), ein frühes Beispiel sozialen Wohnungsbaus ins Leben gerufen und am Leben erhalten.
    Jakob Fugger, Beiname der Reiche (1459-1525), stiftet 1521 die Fuggerei; er war Kaufmann und Bankier. Nach Brechts Diktum, ein Dieb. Doch Jakob Fuggers Verhalten zeigt - bleiben wir für einen Augenblick bei den Kühnheiten - in Wirklichkeit, dass die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik, wie sie ein Ludwig Erhard und seine Mitstreiter, allen voran der Wirtschaftsexperte Alfred Müller-Armack, eingeführt haben und die darüber hinaus von den Nachfolgern aus allen Parteien gefestigt werden konnte, eine lange Vorgeschichte aufweist. Es geht dabei gleichermaßen um den rheinischen Kapitalismus und die katholische Soziallehre, das protestantische Arbeitsethos und die Arbeiterbildungsvereine.
    Die Bedeutung des Zusammenspiels dieser Faktoren für die moderne deutsche Gesellschaft hat bereits Bismarck erkannt. Der preußische Ordnungswille musste früher oder später auf das Thema des sozialen Elends stoßen und es gewohnheitsmäßig dem Verwaltungssystem überantworten.
    Nein, es ging dem Kaiserreich nicht darum, Gerechtigkeit walten zu lassen - das wollen wir auch gar nicht erst behaupten -, es galt vielmehr, ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen, das den Bestand des Reiches garantieren sollte.
    Die wichtigste gesellschaftliche Kraft, mit der man sich arrangieren wollte, war Friedrich Naumann zufolge die Arbeiterschaft und ihr politisches Instrument, die Sozialdemokratie.
    Bismarck, der konservative Politiker und Meister der korporatistischenAbsprachen, griff gleichzeitig zumSchwert und zum Löffel: 1878 zog erdie erfolgreiche Gegnerschaft aus demMilieu der Arbeiterbildungsvereinesamt Sozialdemokratie per Gesetz ausdem Verkehr.

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