Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
den Fuß in einen Schrebergarten gesetzt: Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber, der Namenspatron der Bewegung. Als Innocenz Hauschild seinen Verein gründete, war der Leipziger Orthopäde bereits seit drei Jahren tot. Kurz zuvor hatte der Mediziner, der nicht nur das kindliche Knochengerüst mit Apparaturen wie dem »Kopfhalter« oder dem »Schulterband« auf die gerade Bahn bringen wollte, in der populären Zeitschrift Die Gartenlaube einen Aufsatz veröffentlicht, in welchem er »die Jugendspiele in ihrer gesundheitlichen und pädagogischen Bedeutung« erörterte. Gegen die »steifbeinige Familienpromenade«, die »blasierte Vornehmtuerei«, die »modische Ablenkung und Vernichtung des kindlichen Sinnes« empfahl er das gemeinschaftliche »Austummeln in freier Luft« mit keinem geringeren Ziel als dem, die Menschheit »von Generation zu Generation zu veredeln, dahin zu wirken, dass aus der menschlichen Natur mehr und mehr das gemacht werde, was aus ihr zu machen ist nach Maßgabe des in ihr dargelegten schöpferischen Gedankens«.
    Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es den Schrebergarten schon zu Schrebers Lebzeiten gegeben hätte, und dieser seinen ortho-pädagogischen Eros bei der Gartenarbeit hätte ausleben können, anstatt zu versuchen, auch seine Kinder zu Spalierobst zu erziehen. Die morbide Karriere, die sein Sohn Daniel Paul, zunächst Jurist und Senatspräsident am Oberlandesgericht Dresden, als Deutschlands berühmtester Paranoiker machte, erlebte der Vater nicht mehr. Nach längeren Klinikaufenthalten teilte Schreber junior 1903 der Welt in den Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken mit, dass Gott mit ihm durch Strahleneinwirkungen kommuniziere und dabei sei, ihn in ein Weib, in »Miss Schreber«, zu verwandeln. Und als wollte er ein verzweifeltes Echo auf die Menschheitsveredelungsbemühungen seines Vaters bilden, verkündete er, dazu auserkoren zu sein, eine neue Menschheit »aus Schreberschem Geiste« ins Leben zu rufen.
    Weder Vater noch Sohn Schreber ist es gelungen, den neuen Menschen zu kreieren, und auch der Schrebergarten büßte nach und nach von seinem Ursprungspathos ein. Zwar setzte sich der Vorstand des Leipziger »Schrebervereins Westvorstadt« noch 1914 aus einem Spielausschuss, einem Gartenausschuss, einem Wohltätigkeitsausschuss, einem Vergnügungsausschuss und einem Trommler- und Pfeiferkorps-Ausschuss zusammen, doch in den Zeiten des Kriegs und wirtschaftlichen Elends war es vor allem der Hunger, der die Schrebergärtner zu Spaten und Harke greifen ließ.
    Zum Überlebensmittel in einem noch dramatischeren Sinne wurde eine Berliner Kleingartenlaube während der nationalsozialistischen Diktatur. Zwar hatte sich auch der »Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands« - zu dem sich 1921 alle Schreber-, Naturheil-, Armen- und Arbeitergärten sowie die Berliner Laubenkolonisten zusammengeschlossen hatten - kurz nach der Machtergreifung gleichgeschaltet, dennoch halfen drei »Laubenpieperinnen« dem jungen Hans Rosenthal, dem späteren Moderator von Dalli Dalli, den Holocaust versteckt auf ihrem Grundstück zu überleben. Und das, obwohl es bereits vor der Nazi-Herrschaft streng verboten gewesen war, in den Lauben zu übernachten.
    Seine größte Blüte erlebte der Schrebergarten paradoxerweise in der DDR. Wäre es nach dem Willen der SED gegangen, hätte das private Gärtnern allenfalls als Übergangslösung für die Nahrungsmittelknappheiten der Nachkriegszeit toleriert werden sollen. Doch da sich Rhabarber und Radieschen hartnäckig weigerten, dem Fünf jahresplan zu folgen, gab das Regime schließlich nach und hob den grünen Daumen. Um ungezügelten Wildwuchs des Schrebertums zu verhindern, beschloss man, die Kleingarten-Partisanen der Abteilung Landwirtschaft des Zentralkomitees zu unterstellen. Allerdings wollten sich diese auch dann nicht vorschreiben lassen, was sie auf ihren Freizeit-Grundstückchen in welcher Menge anzubauen hätten. (Manch heutiger Schrebergartenverein weiß da seine Auflagen in Sachen Bepflanzungsbeschränkungen rigider durchzusetzen.) Und man erlaubte den DDR-Bürgern - sei’s als Entschädigung für die Plattenbauten, sei’s als Entschädigung für die entgangenen Nächte an der Adria -, auch größere Lauben, sprich: Datschen, auf die Parzellen zu stellen, in denen sie gern übernachten durften. (Wohingegen das gesamtdeutsche Bundeskleingartengesetz vorschreibt, dass die in einem Kleingarten errichtete Laube »nach ihrer Beschaffenheit,

Weitere Kostenlose Bücher