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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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insbesondere nach ihrer Ausstattung und Einrichtung, nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein« darf. Indem die Datschen von den Laubenbesitzern getrennt wurden, riss die Wiedervereinigung unbarmherzig auseinander, was in der DDR zusammengewachsen war.)
    So entwickelte sich in Ostdeutschland der Schrebergarten mehr noch als im Westen zu dem Freizeitidyll, in dem man rund ums Jahr seine Wochenenden und Urlaube verbrachte: Auf den Fasching folgte das Frühlingsfest, aufs Frühlingsfest das Pfingstkonzert mit Frühschoppen, darauf das Sommer-, Ernte-, Bockbier-, Schlachtefest, die Rentnerweihnachtsfeier und der Silvesterschwof, zwischendurch wurde gekegelt und Skat gespielt. Für die Begleitmusik sorgte (hüben wie drüben) der britische Schlagersänger Billy Sanders mit seinem Hit: »Dreißig Meter im Quadrat, / Blumenkohl und Kopfsalat, / Wer so einen Garten hat, / Fühlt sich wohl, in der Stadt! // Adelheid, Adelheid, schenk mir einen Gartenzwerg! / Adelheid, Adelheid, bitte tu ein gutes Werk!«
    Im Sommer 1989 besaß nahezu jeder zweite DDR-Haushalt sein Fleckchen im Grünen. Es stellt sich die Frage, ob es sich beim »Arbeiter- und Bauernstaat« in Wahrheit nicht um einen Kleingärtnerstaat gehandelt hat.
    Niemand sollte herablassend lächeln, wenn er das nächste Mal an einer Schreberkolonie vorbeispaziert. Wo sonst kann er auf maximal vierhundert Quadratmetern Natur und Kultur, Ordnung und Trieb, Freiheit und Zwang, Gesundheit und Wahnsinn, Vereinsmeier und Hobby-Lenne miteinander ringen sehen? Am klarsten hat Karl Foerster, der Garten-Philosoph und Züchter der Chrysantheme »Rotwild«, die romantische Ironie erfasst, die der Schreberbewegung ihren Zauber verleiht: »Auch ein kleiner Garten ist eine endlose Aufgabe.«
     
    >Arbeitswut, Bruder Baum, Feierabend, Freikörperkultur, Gemütlichkeit, Kindergarten, Ordnungsliebe, Puppenhaus, Sehnsucht, Vereinsmeier, Waldeinsamkeit

Sehnsucht
     
    Nach irgendetwas sehnen kann sich jeder. Und wenn er’s erreicht hat, soll er glücklich sein. Am Ziel seiner Wünsche angekommen. Stillstand. Ruhe. Zufriedenheit.
    Sehnsucht ist etwas gänzlich anderes. Die kennt kein Ende. Die ist ebenso maß- wie rastlos. Wie heißt es beim romantischen Dichter Clemens Brentano? »Lieb’ und Leid im leichten Leben, / Sich erheben, abwärts schweben, / Alles will das Herz umfangen, / Nur verlangen, nie erlangen …«
    Mit aller Macht drängt Sehnsucht nach ihrer Erfüllung - und zuckt in dem Moment zurück, in dem sie das Begehrte zum Greifen nahe hat. Sehnsucht ist weder Zustand noch beständiges Streben, sondern unendliches Hin-und-Her-Gerissensein. Der Sehnsüchtige spielt Katz und Maus mit sich selbst. Bettine von Arnim, Dichterin wie ihr Bruder Clemens Brentano, träumt davon, »Sehnsuchtsenergien« zu bündeln, eine »Schwebe-Religion« zu stiften.
    Man mag die Sehn-Sucht eine Krankheit nennen, wie es das Grimmsche Wörterbuch tut - aber keine Krankheit verleiht der Seele mehr Spannkraft.
    Reinhold Messner, der Extremalpinist, der als erster Mensch auf allen vierzehn Achttausender-Gipfeln der Erde gestanden hat, den es an die Eispole und durch Sandwüsten treibt, seit ihm die Höhe keine Herausforderung mehr zu bieten vermag, kennt die Sehnsucht - und ihr dynamisches Leiden. In seinem Expeditionsbuch Me zurück schreibt er: »Es ist schizophren, wenn jemand daheim ist bei seiner Frau und sagt, ich will zum Nordpol, und dann ist er am Nordpol und denkt nur an seine Frau.« Oder philosophischer: »Mein Unterwegssein spiegelt die Zerrissenheit des romantischen Menschen, der von der Sehnsucht nach draußen lebt, wenn er daheim ist - und sich nach daheim verzehrt, wenn er draußen ist. Ich bin der Heimatsehnsuchtsverräter.«
    Heimatsehnsuchtsverräter … Damit ist der südtiroler Bergsteiger den Geistern der deutschen Romantik näher als Hans Albers, der raubeinig-elegante Volksschauspieler von der Waterkant, der des Nachkriegsdeutschen liebstes Sehnsuchtslied gesungen hat: »Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise! / Nimm uns mit in die weite, weite Welt! / Wohin geht, Kapitän, deine Reise? / Bis zum Südpol, da langt unser Geld.« Im Laufe des Liedes wird der Heimatverräter zum Sehnsuchtsverräter, bis er in der letzten Strophe fleht: »Nimm mich mit, Kapitän, aus der Ferne! / Bis nach Hamburg, da steige ich aus. / In der Heimat, da glüh’n meine Sterne, / In der Heimat bei Muttern zu Haus. / In der Heimat, da glüh’n unsre Sterne, / Nimm mich mit, Kapitän, nach

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