Die deutsche Seele
Narr und stets bereit, seine Kappe zu verteidigen.
Dagegen war allgemein wenig auszurichten, und so rächte man sich, indem man den Begriff »Spießbürger« zum Schimpfwort degradierte.
Unsere dynamische und gleichermaßen tanzwütige Öffentlichkeit aber eilt nicht nur von Erkenntnis zu Erkenntnis, sondern auch von Mode zu Mode, immer den Fortschritt vor Augen, und das in einer von Terminen ausgestalteten Zeit, stets darauf bedacht, so weit wie möglich nichts zu verpassen. Und doch entdeckt sie zuweilen, wenn alles wieder einmal zerredet ist und gar nichts mehr geht, die Symbolik und ihre schweigende Kraft.
Der Vorteil: Man muss nicht mehr ausdrücklich vortragen, was man will, es genügt, wenn man es durch seine Lebensweise vormacht. Man geht stillschweigend mit der Zeit, das heißt mit der Mehrheit, und siehe da, plötzlich ist auch das Wort »Spießer« wieder zu gebrauchen. Zumindest steht es zur Verfügung.
Alles begann mit einem Werbespot, in dem ein alternativ im Bauwagen lebender Vater ein Gespräch mit seiner heranwachsenden Tochter hat. Diese schwärmt für die Dachgeschosswohnung, das Loft, in dem ihre Schulfreundin lebt. Den Hinweis ihres Vaters, dass es Spießer seien, pariert sie mit der Bemerkung: »Du, Papa - wenn ich groß bin, will ich auch mal Spießer werden.« Das Video, der Werbefilm einer Bausparkasse, wurde Kult. Das Bedürfnis, Spießer zu werden, war offenbar ein größeres als nur der Wunsch eines Kindes aus der Laubenkolonie.
Wenn eine Werbung Kult wird, erstaunt das kaum noch jemanden. Schließlich ist sie längst anerkannter kultureller Ausdruck und Abdruck unserer Alltagsgeschäftigkeit. Also ist sie auch berechtigt, jenseits ihrer Botschaft eine Aussage zu verbreiten. Wenn eine Werbung Kult wird, so hat das mit dem jeweiligen Werbeauftrag nicht mehr viel zu tun, aber dafür umso mehr mit dem Rest der Gesellschaft. Das glauben wir zumindest. Die Werbung, die Kult geworden ist, gilt als Indikator, auch dem Soziologen, der sich seit einer Weile schon als Kulturwissenschaftler versteht.
Der vom Soziologen zum Kulturwissenschaftler aufgerückte Gesellschaftsinterpret beobachtet vor allem den Wertewandel, wie er sich aus dem gängigen Verhalten der Menschen angesichts des Repertoires ihres Alltagslebens ergibt. Man beobachtet, ob Begriffe negativ oder positiv besetzt sind und warum das so ist.
Damit bewegt man sich auch als Kulturwissenschaftler in den Grenzen der Marktforschung. Die einen errechnen die Interessen des zum Zuschauer gewordenen Menschen, die anderen verwenden diese Erkenntnisse zur Platzierung eines Produkts.
Der Spießer war zuletzt der Sparringspartner des Fortschritts. Am Sparringspartner misst man sich nicht, aber indem man die eigenen Strategien an ihm ausprobiert, stellt man sich auf ihn ein, auf seinen Horizont. Ekel Alfred war der Prototyp, bei dem man sich das Abgrenzen beibringen konnte. Ekel Alfred war eine Fernsehfigur und das Feindbild der 68er. Ein Bilderbuchreaktionär, ausgestattet mit allen Primär- und Sekundäruntugenden. Nachdem das Programm von 68 deutlich in Ritualen aufgegangen ist, deren Reichweite inzwischen bis in die Zentrale der CDU geht, bleibt wie eh und je die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben?
Der Spießer hat keine Vorbilder, er hat bloß Gewohnheiten, denen er folgt und die er pflegt. Er ist regelmäßig empört über die Zugverspätung, und vom Wetterbericht hält er gar nichts. Der Spießbürger kritisiert nicht, er stellt fest. So protestiert er schon lange nicht mehr gegen die »Amis«, wie er immer noch sagt, aber die Art, wie er »Guantänamo« ausspricht, lässt keinen Zweifel über seine Meinung in der Sache zu. Der Spießbürger verachtet seinen Gegner, wie ihn seinerzeit der Ritter verachtet hat.
Überall, wo seine Gegner sind - und sie sind überall -, herrscht das Chaos, sagt er. Seine Angelegenheiten werden schlecht verwaltet. Mit dieser Ansicht ist er nicht allein. Davon ermutigt, neigt er dazu, sich der Mehrheit anzuschließen, er hat geradezu ein Gespür für den Trend. Der Trend ist der beste Utopieersatz.
Der größte Spießer war wahrscheinlich Erich Honecker, sein Wandlitz hätte man zum Museum des Spießertums ausbauen können, und das ohne größeren Aufwand.
Der Spießer hat keine Prinzipien, er macht aber gelegentlich aus seinen Gewohnheiten Prinzipien. Was dabei herauskommt, ist ein später Sieg des Eklektizismus über die Aufklärung. Eine Mischung aus den letzten 68er-Parolen und Reformhaus
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