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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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beherrscht allgemein die Diskussion. Und so trifft man jetzt an einem Sonntagvormittag beim Brunchen an einem schönen Platz des Kaiserreichs - Ciaire Waldoff hat um die Ecke gewohnt - den Spießer auf Schritt und Tritt. Er redet wohlfeil in allen Tischrunden mit und blickt zwischendurch in die Kronen der Bäume auf dem Platz, als sei er gerade dabei, in wessen Auftrag auch immer, das Lebensalter dieser Bäume zu schätzen. Schließlich begibt er sich zu seinem Fahrrad, öffnet umständlich das Schloss, schwingt sich in den Sattel und fährt majestätisch davon, als wäre er der Ritter, nicht der Bürger zu Fuß.
     
    >Feierabend, Gemütlichkeit, Ordnungsliebe, Schadenfreude

Der Revoluzzer
     
    War einmal ein Revoluzzer im Zivilstand Lampenputzer, ging im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit.
    Aber unser Revoluzzer schrie: »Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts!
     
    «
    Und er schrie: »Ich revolüzze!« und die Revoluzzermütze schob er auf das linke Ohr, kam sich höchst gefährlich vor.
    Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen. Lasst die Lampen stehn, ich bitt! Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!«
     
    Doch die Revoluzzer schritten mitten in der Straßen Mitten, wo er sonsten unverdrutzt alle Gaslaternen putzt.
    Doch die Revoluzzer lachten, und die Gaslaternen krachten, und der Lampenputzer schlich fort und weinte bitterlich.
     
    Sie vom Boden zu entfernen rupfte man die Gaslaternen aus dem Straßenpflaster aus, zwecks des Barrikadenbaus.
    Dann ist er zu Haus geblieben und hat dort ein Buch geschrieben: nämlich, wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt.
     
    Strandkorb
     
    Die Geschichte vom Strandkorb, zumindest ihr Anfang, erscheint uns wie eine Kalendergeschichte. Denn es gibt kaum etwas, was leichter zu erklären wäre als die Herkunft des Strandkorbs. Ist es doch bloß die Geschichte vom Korbmacher Wilhelm Bartelmann, der aus Lübeck stammt und sein Geschäft in Rostock hat, und dem adligen Fräulein Elfriede von Maitzahn, seiner einfallsreichen Kundin aus dem Uraltadel. Nach ihren Vorstellungen und Anweisungen soll der Korbmacher seinen ersten Strandkorb gebaut haben. Die Geschichte trug sich im Frühjahr 1882 in Rostock zu, der Korb war für Warnemünde bestimmt.
    Elfriede von Maitzahn soll es damals um den Schutz ihrer Haut vor Wind und Sonne gegangen sein, und die Sonnencreme war noch längst nicht erfunden.
    Bald schon, zumindest seit der Jahrhundertwende, war der Strandkorb zum Wahrzeichen der Ost- und Nordseestrände geworden, und damit zum Sujet der Freiluftmaler oder auch umgekehrt, obwohl er beim genaueren Hinsehen eher für die Fotografie geeignet erscheint, gehört doch zu seinen offensichtlichen Kennzeichen die Austauschbarkeit. Auf allen Strandfotos ist eine wahre Aufstellung zu sehen. Strandkorb um Strandkorb um Strandkorb. Gleiche Größe, gleiche Farbe.
    In der Regel überwiegen die für eine oder für zwei Personen vorgesehenen Strandkörbe. Man will es auch am Strand gemütlich haben. Und wenn der Expressionist von nebenan die Sache wieder einmal düster malt, muss man ja nicht unbedingt hinsehen. Nicht jedes Unwetter, das heraufzieht, ist eine Warnung.
    Wer in einem Strandkorb sitzt, ist nicht nur vor Wind und Sonne geschützt, sondern auch vor indiskretem Blick verschont. Er ist mit sich allein, mit sich und den Seinigen, aber er weiß sich auch in der Masse. Man kann sich in den Strandkorb zurückziehen und damit aus allem heraushalten, ohne den Strand selbst oder den Wellengang aus den Augen zu verlieren. Diese seine Doppelrolle, als Gehäuse, aber in fest stehender Formation, zeigt ihn als wilhelminisches Phänomen.
    Auch Thomas Mann hatte seinen Strandkorb. Und dass dieser mit einem Schreibbrett ausgestattet war, wird wohl kaum jemanden verwundern. Mann saß in seinem Strandkorb in Hemd und Krawatte. Auch er, der Schriftsteller, hatte den Blick, zumindest zwischendurch, aufs Meer gerichtet, und auch ihm war klar, dass alle anderen ebenfalls den Blick aufs Meer gerichtet hatten, aber er musste sich über das Ergebnis seiner Betrachtungen nicht weiter mit ihnen verständigen. Das erledigte Wilhelm II. persönlich. Der Platz an der Sonne, den er versprach, lag im Schützengraben.
    Der Strandkorb hat das Kaiserreich überlebt, so wie er alles Weitere überlebt hat. Die echten Erfindungen sind zeitlos. Kein Zeitgeist kann ihnen etwas anhaben, weil sie von bleibendem Nutzen sind. Man kann eine

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