Die deutsche Seele
handfester nutzen: Für Arbeitgeber und Personalchefs gibt es keine elegantere Art, einen Bewerber zu prüfen, als diesen zu einem Spargelessen einzuladen. Isst er den Spargel mit Fingern, hat er in seinen Bewerbungsunterlagen beim Alter geschwindelt: Niemand, der nach der Erfindung rostfreien Bestecks geboren wurde, isst Spargel noch mit der Hand. Es sei denn, seine bzw. ihre Interessen gehen über den reinen Arbeitsplatz hinaus. Oder er/sie stammt aus wirklich gutem Hause, in dem Tafelsilber eine Selbstverständlichkeit ist.
Spargelknigge anno 1960: »Die schöne Spargelzeit ist kein Problem, wenn Sie auf uns hören: Die Finger der rechten Hand fassen den Spargel am Ende, die Linke unterstützt mit der Gabel …« So empfohlen im Hausbuch des guten Tons von Annemarie Weber.
Doch auch die Besteckesser verraten mehr über ihren Charakter, als ihnen lieb sein kann: Schlingen sie ihre Spargelportion Stange für Stange hinunter oder stürzen sich gar auf alle Köpfe zuerst, kommen sie für Posten, auf denen ein langer Atem benötigt wird, nicht in Frage. Das schöne deutsche Wort »Belohnungsaufschub« ist ihnen ein Fremdwort. Wer sich seiner Spargelportion hingegen so nähert, dass er mit sämtlichen Stangenenden beginnt, sich von dort zu den jeweiligen Mittelteilen vorarbeitet und erst ganz zum Schluss die zarten Spitzen genießt, beweist, dass seine Triebkontrolle vorbildlich funktioniert. In diesem Fall sollte der Chef unverzüglich eine Flasche vom teuersten Riesling bestellen, um den neuen Mitarbeiter zu begrüßen.
Aber ganz gleich, ob zum Charaktertest oder zum Sinnenfest: Man muss den Spargel feiern, solange er vor der Haustüre wächst. Bald schon kommt der Johannistag, der 24. Juni, die Saison geht zu Ende, und der künstlich unter der Erde Gehaltene darf endlich ins Kraut schießen. Dann heißt es, Abschied nehmen von der schönen Spargelzeit und im Supermarkt wieder tapfer vorbeigehen an den griechischchilenischen Versuchungen. Der Verzicht lohnt sich. Denn nur der vermag den Spargel im nächsten Frühjahr ernsthaft zu genießen, der ihn zuvor neun Monate lang entbehrt hat. [td]
>Heimat, Kleinstaaterei, Ordnungsliebe, Sehnsucht
Spiessbürger
Zu den am deutlichsten negativ besetzten Begriffen im heutigen Deutsch gehört der Spießbürger. Schon seit dem Mittelalter trägt er seinen Makel mit sich. Beim Spießbürger handelte es sich ursprünglich um den Bürger der freien Reichsstadt, der je nach Vermögen seiner Familie zur Verteidigung und Selbstverteidigung seiner Stadt beizutragen hatte. Jene Bürger aber, die am wenigsten besaßen, waren nur mit einem Spieß, einem Speer bewaffnet.
Im späten Mittelalter entfernte sich das geregelte Leben der Oberschichten immer mehr von der Realität, es wurde zum leeren Ritual, zu Sport. Je weniger reale Existenzberechtigung die Kaste der Ritter hatte, desto mehr bekannte sie sich zum Turnierleben. So war der Spießbürger als eventueller Gegner für den hochgerüsteten Ritter zunächst einmal eine Lachnummer. Diese Art Gegner war eine Beleidigung seines elitären Aufwands. Der Skandal bestand vor allem darin, dass es für den Spießbürger mit seiner improvisierten Waffe ein Leichtes war, gegen den im Eisen steckenden Ritter vorzugehen, der eine ganze Hilfstruppe brauchte, um in den Sattel zu kommen und dort eine reizende Festung darzustellen, mehr aber auch nicht. Ihn aus dem Sattel zu kippen, sollte Kriegskunst erfordern. Dass man das aber auch mit einem einfachen Spieß erzielen konnte, war eine kapitale Regelverletzung. Sie machte den Ritter lächerlich und überflüssig.
Der Spießbürger galt als nicht standesgemäße Figur der mittelalterlichen Welt, einer Welt, in der man mit Eigentum und Privilegien protzte. Aus seiner Notsituation und vor allem aus seinen irregulären Fähigkeiten, dem Gegner das Spiel zu verderben, entwickelte der Spießbürger ein nicht unerhebliches Selbstbewusstsein. Er fühlte sich im Recht, und das bald nicht nur, was die Bewaffnung anging und den unseligen Aufwand, der damit verbunden sein sollte, der Spießbürger fühlte sich in allem im Recht. Er ließ sich von den Hochgerüsteten nichts mehr vormachen.
Der Spießbürger hat sich im Lauf der Zeit seine eigene Welt eingerichtet. Sie sieht zwar der tatsächlichen Welt verdammt ähnlich, in ihr ist aber alles eine Nummer kleiner. Das Turnier wird zum Jahrmarkt, und der Minnesänger zum Hanswurst. Die beste Rolle reserviert der Bürger für sich selbst. Er ist der
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