Die Deutschen
aufzurufen. Am Nachmittag weigern sich Kompanien der Marineinfanterie, gegen Matrosenversammlungen vorzugehen. In der Nacht verteilen revolutionäre Matrosen Handzettel mit dem Aufruf: »Kameraden, schießt nicht auf eure Brüder! Arbeiter, demonstriert in Massen, laßt die Soldaten nicht im Stich!«
3. November 1918: Hornisten und Alarmpatrouillen durchziehen die Straßen Kiels und fordern die Marineangehörigen auf, zu ihren Truppenteilen zurückzukehren. Niemand folgt diesen Aufrufen; die Matrosen nutzen im Gegenteil den Alarm für ihre eigenen Parolen, und fordern die Soldaten auf, an der Kundgebung teilzunehmen. Der Exerzierplatz auf der Waldwiese ist voll von Menschen. Der Oberheizer Artelt eröffnet die Kundgebung und fordert die Matrosen zum »entschlossenen Handeln« auf. Als ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsführer rät, mit den Aktionen noch zu warten, unterbricht ihn die Versammlung und zwingt ihn, abzutreten. Die Werftarbeiter solidarisieren sich mit den Matrosen; es wird beschlossen, in den Straßen Kiels zu demonstrieren. Mehrere Tausend Menschen ziehen durch die Straßen der Stadt, Militärpatrouillen werden entwaffnet, Soldaten aus den Kasernen schließen sich an, Hochrufe auf die deutsche Republik und die Internationale lösen Begeisterungsstürme aus. Und immer wieder die Forderung: »Weg mit dem Kaiser!« An der Ecke Brunswiker- und Karlstraße sperrt plötzlich eine starke Postenkette den Weg. Der Leutnant Steinhäuser fordert die Masse auf, auseinanderzugehen. Als niemand der Aufforderung folgt, kommandiert er: »Feuer!« 9 Tote und 29 Verletzte liegen auf dem Pflaster, unter ihnen Frauen und Kinder. Die Menge zerteilt sich. Da tritt ein bewaffneter Matrose vor und schießt Leutnant Steinhäuser nieder. Die Revolution hat begonnen.
4. November 1918: Noch in der Nacht und in den frühen Morgenstunden wählen Soldaten in den Kasernen und Matrosen auf den Schiffen Soldatenräte und bilden damit »Führungsorgane für den Kampf«. Rote Flaggen steigen auf den Schiffen auf. Kapitän Weniger vom Kreuzer »König« verteidigt mit der Waffe in der Hand seinen Flaggenmast. Er wird erschossen. 260 Matrosen des Linienschiffes »Großer Kurfürst« überwältigen ihre Offiziere, ziehen in Kiel anden Ort der Bluttat vom 3. November und schwören, den Mord zu rächen. Die Matrosen der 1. Torpedodivision halten vor dem Stabsgebäude ihres Kommandeurs eine Versammlung ab, verlangen die sofortige Beendigung des Krieges, die Abdankung der Hohenzollern, die Aufhebung des Belagerungszustandes, die Freilassung allerverhafteten Matrosen und politischen Gefangenen und die Einführung des allgemeinen gleichen und geheimen Wahlrechts, auch für Frauen. Kompanieweise wählen die Matrosen ihre Soldatenräte.
Die »Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung«, ein Organ der spd, schreibt am gleichen Tag: »Die bedauerlichen Vorgänge in Kiel haben uns veranlaßt, sofort einen Vertreter nach Berlin zu entsenden. Genosse Kürbis hat heute früh mit der Regierung verhandelt. Er trifft abends wieder in Kiel ein, und dann wird gehandelt und Wandel geschaffen werden. Genosse Ebert hat keinen Zweifel mehr darüber gelassen, was ja von vornherein feststeht, daß die Partei jede nutzlose Fortführung des Kampfes ablehnt. Sie bittet – angesichts der innerpolitischen Lage und des entschlossenen Willens der Regierung, einzugreifen – dringend, daß die Arbeiter in den Betrieben bleiben.«
Aber die Vertrauensleute der Arbeiter in den Kieler Großbetrieben beschließen, als Zeichen der Solidarität mit den aufständischen Matrosen in den Generalstreik zu treten.
Vizeadmiral Souchon, der mit den ihm noch zur Verfügung stehenden Truppen den Aufstand nicht mehr niederwerfen kann, erklärt sich bereit, eine Abordnung zu empfangen, die von dem Oberheizer Artelt geführt wird. Zwischen ihm und dem Vizeadmiral, dem Gouverneur von Kiel, entspinnt sich folgender Dialog:
Artelt: »Bevor wir in die Verhandlungen eintreten, möchte ich fragen, ob Sie uns als die von den Soldaten gewählten Vertrauensleute anerkennen und auf gleichberechtigter Basis mit uns verhandeln werden.«
Souchon: »Ja.«
Artelt: »So lassen Sie uns zunächst die Fragen klären, die in Ihrem Machtbereich liegen. Ich möchte Sie jedoch warnen, sich keinen falschen Hoffnungen hinzugeben und etwa Landtruppen gegen die revolutionären Matrosen einzusetzen. In diesem Fall hat das iii . Geschwader Anweisung, das Offiziersvillenviertel Düsternbrook unter Feuer zu
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