Die Deutschen
kehrt auf Wunsch des Vaters in das Elternhaus nach Darmstadt zurück, um sich dort auf sein Examen vorzubereiten. Gleichzeitig schreibt er die glühenden Szenen seines Schauspiels »Dantons Tod«. Der Dichter, erklärt Büchner, sei »nichts als ein Geschichtsschreiber«, stehe aber über letzterem dadurch, »daß er uns die Geschichte zum zweitenmal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene Erklärung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, um statt Charakteristiken Charaktere und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen.«
Die Monate von Ende August 1834 bis zu jenem Märztag 1835, an dem Büchner aus seinem Vaterland flieht, sind die quälendsten seines Lebens. Es bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten: entweder schwere Haft, geistige und körperliche Folterung, vielleicht Wahnsinn und Tod, oder die Emigration und damit die endgültige Liquidierung seines gescheiterten politischen Unternehmens. Geld will er sich durch das Honorar für seinen »Danton« beschaffen, den er Karl Gutzkow anbietet. Und Gutzkow spürt die Kraft und Leidenschaft des politischen Dramas.
Inzwischen versuchen die Verschworenen, den verhafteten Minnigerode aus dem Gefängnis zu befreien; doch das mißlingt. Der kleinen illegalen Gruppe droht Entdeckung. Am 27. Februar erhält Büchner eine richterliche Vorladung, in das Arresthaus nach Darmstadt zu kommen. Georg spricht in seiner Not mit der Mutter und erhält von ihr Geld, um flüchten zu können. Am 1. März in aller frühe verläßt er Darmstadt.
Was Büchner sich erschauernd vorstellte, wird für jene, denen die Flucht nicht gelang, furchtbare Realität. Der Universitätsrichter Georgi mußte sich in seiner Jugend als Student wegen Diebstahls und Veruntreuung verantworten. Später wird er von allen Honoratioren abgelehnt und verachtet und verlegt sich aufs Trinken. Als er die Untersuchung gegen »Weidig und Genossen« zu führen hat, steht er bereits am Rande des Deliriums. Georgi arbeitet mit der erprobten Apparatur des Inquisitors: Ketten für die Häftlinge, endlose und peinigende Verhöre, schließlich körperliche Zwangsmittel. Aber Minnigerode gesteht nichts, obwohl er physisch und psychisch am Ende ist, der geistigen Umnachtung nahe. Georgi erklärt das alles für Heuchelei und wendet neue Strafen an, um dem Häftling »den Geschmack an der Verstellung« zu nehmen. Aber der wirkliche Zustand des Gefangenen läßt sich nicht verschweigen. Ein ärztliches Gutachten, das die Familie erzwingt, erklärt Minnigerode für haftunfähig. Er wird zur Pflege ins elterliche Haus gebracht. Georgi protestiert ohne Erfolg. 1837, nach dreijähriger Haft, erklärt ein neues ärztliches Gutachten Minnigerode für geistesgestört. Er erhält die Erlaubnis, nach Amerika auszuwandern.
Furchtbarer noch ist das Schicksal Weidigs. Er hat auch nach Büchners Flucht weiter die politische Arbeit geleitet: Aufrechterhaltung der politischen Verbindungen Neuherausgabe des Landboten, Pläne zur Befreiung Minnigerodes, Vorbereitung neuer Flugschriften. Nach seiner Verhaftung stürzt sich Georgi auf ihn. Zwar bleibt Weidig bei seiner Taktik des Ableugnens, die ihn schon aus zwei früheren Untersuchungen gerettet hat, aber diesmal liefern die Aussagen anderer Material gegen ihn. Allmählich sinkt die Widerstandskraft des Gefangenen, der durch endlose Verhöre und Demütigungen geschwächt ist und endlose Haft vor sich sieht. Auch er, in Ketten gelegt, ist dem Wahnsinn nahe; er hat Sinnestäuschungen, die Georgi wiederum für Verstellung hält. Nun versucht Georgi ein letztes Mittel, das streng gesetzlich ist: den Ochsenziemer.
Als der Gefangenenwärter am 23. Februar zu gewohnter Stunde Weidigs Zelle öffnet, findet er den Gefangenen blutüberströmt auf seinem Bett. Er hat sich mit den Scherben einer zerbrochenen Wasserflasche die Pulsadern geöffnet. Aber er lebt noch. Georgi wird aus dem Gasthaus geholt, und er besichtigt den »Fall«. Nach einer Stunde erscheint endlich der Gerichtsarzt. Weidig ist bereits verblutet. Man stellt neben Wunden an den Händen und Füßen eine klaffende Halswunde fest. Die will der Wärter am Morgen noch nicht gesehen haben. Niemand weiß, ob Weidig, aus der Ohnmacht erwachend, sich diese Wunde selbst beigebracht hat, oder ob Georgi »nachhelfen« ließ.
An die Wand der Todeszelle schrieb Weidig mit seinem Blut: »Da mir der Feind jede Verteidigung
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