Die Deutschen
einer Sprache reden, die sie auch verständen. Damit ist Büchners Grundproblem angeschnitten. »Die früheren Flugschriften«, so erklärt Büchner, »die zu diesem Zweck etwa erschienen waren, entsprechen demselben nicht; es war darin die Rede vom Wiener Kongreß, Preßfreiheit, Bundestagsordonnanzen und dergleichen; lauter Dinge, um welche sich die Bauern nicht kümmern, solange sie noch mit ihrer materiellen Not beschäftigt sind; denn diese Leute haben aus sehr naheliegenden Ursachen keinen Sinn für die Ehre und Freiheit ihrer Nation, keinen Begriff von den Rechten des Menschen. Sie sind gegen all das gleichgültig, und in dieser Gleichgültigkeit allein beruht ihre angebliche Treue gegen die Fürsten und ihre Teilnahmslosigkeit an dem liberalen Treiben der Zeit; gleichwohl scheinen sie unzufrieden zu sein, und sie haben Ursache dazu, weil man den dürftigen Gewinn, welchen sie aus ihrer ganzen Arbeit ziehen, und der ihnen zur Verbesserung ihrer Lage so notwendig wäre, als Steuer von ihnen nimmt.«
Hier sieht Büchner den einzig möglichen Ansatzpunkt für eine Massenbewegung und damit eine Erfolgsmöglichkeit der Revolution. Die Frage der Volksrevolution erinnert die Delegierten sofort an die »Pöbelherrschaft der Jakobiner und an die Guillotine«.
Aber man will mit dem jungen Büchner nicht brechen. Es kommt zu einem Kompromiß. Weidigs Plan, die Propaganda in Volksaufklärung und Anfeuerung der gebildeten Stände zu teilen, wird akzeptiert. Man beschließt die Herausgabe von Flugschriften und die Anschaffung einer geheimen Druckerpresse. Die Delegierten geben Büchner den Auftrag, eine Flugschrift für die Bauern in ihrer Sprache zu verfassen.
Ende Mai des Jahres 1834 liest Pfarrer Weidig das Manuskript Georg Büchners vor: »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« Darin wird die Unerbittlichkeit der Gegensätze zwischen den besitzenden und besitzlosen Klassen mit großer Schärfe formuliert. Weidig ist sich im klaren, daß die Schrift, wenn sie in dieser Gestalt erscheint, den Zerfall seiner mühsam ausbalancierten Bewegung herbeiführen kann. Er entschließt sich deshalb, den Büchnerschen Text zu überarbeiten. Aber auch in der neuen Form spricht der »Hessische Landbote« noch »radikal und unbeugsam« zu den armen Bauern der hessischen Hungergebiete.
Das Manuskript wird durch Büchner selbst in die Geheimdruckerei nach Offenbach gebracht. Nach vier Wochen erhält man die Nachricht, die gedruckten Exemplare könnten abgeholt werden. Auf drei verschiedenen Wegen werden sie nach Butzbach und Gießen geschafft, um von dort aus an die Bauern verteilt zu werden.
Aber schon ist Verrat am Werk: Im engsten Kreise der Verschwörer sitzt der Verräter, der für den Minister Du Thil arbeitet. Es ist ein gewisser Johann Conrad Kuhl aus Butzbach.
Anfang März 1833 läßt er sich beim Darmstädter Hofgerichtsrat von Stein melden, und erklärt, er könne wichtige Aussagen über die bevorstehende Revolution machen, verlange aber Zusicherung der Straffreiheit und materielle Entschädigung. Du Thil verschafft ihm tatsächlich eine entsprechende Urkunde des Großherzogs. Kuhl ist über alle Angelegenheiten des Transportes der Büchnerschen Flugschriften unterrichtet: Carl Minnigerode werde am 1. August 1834 mit einem Teil der Flugschriften in Hessen eintreffen. Als dieser das Stadttor in Gießen passieren will, wird er sofort verhaftet. Man findet bei ihm 150 Exemplare des »Hessischen Landboten«. Minnigerode wird in das Arresthaus gebracht. Büchner, der insgeheim benachrichtigt wird, gibt die Meldung an die Freunde weiter, und einer von ihnen, der Flugschriften aus Offenbach geholt hat, kann in die Schweiz entfliehen. Der Hofgerichtsrat und Universitätsrichter Georgi läßt bei Büchner in dessen Abwesenheit eine Haussuchung vornehmen, findet aber nichts von Bedeutung. Büchner kann sich fürs erste rechtfertigen. Kuhl wird gefragt, ob der Student Georg Büchner wirklich nicht an den Umtrieben beteiligt sei. Er erklärt, obwohl er das Gegenteil weiß, Büchner habe mit der Bewegung nichts zu tun, er kenne den jungen Mann nicht. Die Flugschriften werden weiter in den Dörfern verteilt. Die Wirkung ist sehr zwiespältig. Bürger und Studenten lehnen die Botschaft meist ab; bei den Bauern findet sie schon eher Gehör. Aber die Angst ist groß, und so landen viele Exemplare der Broschüre bei den Beamten Du Thils. Immerhin läßt Weidig im Spätherbst 1834 eine zweite Auflage drucken und verteilen. Büchner
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