Die Deutschen
die Transporte von Heeresmaterial, das aus dem Zeughaus geschafft wird, ohne daß die Öffentlichkeit erfährt, welchem Zweck die Waffen dienen sollen und wohin sie gebracht werden. Das Innere des Zeughauses ist durch Militär besetzt, die Bürgerwehr hat wenig zu sagen, und die allgemeine Volksbewaffnung hat kaum begonnen. Sechs demokratische Vereine fordern durch Abordnungen den Ministerpräsidenten auf, die zum Waffentragen berechtigte Bevölkerung nun wenigstens teilweise zu bewaffnen und eine gerechtere Verteilung der für die Bürgerwehr ausgegebenen Waffen zu veranlassen. Aber lediglich die als Elite angesehenen Maschinenbauer erhalten 500 Gewehre. Die Organisationen und Klubs verhalten sich still, während die Masse des Volkes die Bewaffnungsfrage heftig diskutiert und vor dem Zeughaus demonstriert.
Neuen Anlaß zum Mißtrauen bietet eine Bekanntmachung des Hofmarschallamtes, daß vor den Portalen im kleinen Schloßhof Gitter angebracht würden. Die Bevölkerung von Berlin hat den Eindruck, daß das Schloß in eine Festung verwandelt werden soll. Gegen Mittag des 14. Juni drängt eine große Menschenmenge vom Lustgarten aus in den Schloßhof, bemächtigt sich der Gitter, wirft eines in die Spree und schafft die beiden anderen in die Universität. Ein Zug von Arbeitslosen wird bei seinem Anmarsch vom Tiergarten aus am Brandenburger Tor durch Bürgerwehr aufgelöst. Noch kommt es zu keinen Zusammenstößen. Etwas später, gegen 4 Uhr, fordern einige hundert Arbeiter vor dem Kriegsministerium die Zurückziehung des Militärs aus dem Zeughaus. Durch die Bürgerwehr zurückgedrängt, ziehen sie vor das Zeughaus und verstärken die Volksmassen, die sich dort bereits versammelt haben und die allgemeine Bewaffnung fordern. Man wählt eine Delegation, schickt sie zum Kriegsminister und fordert den Abzug des Militärs aus dem Zeughaus. Die Forderung wird abgelehnt.
Plötzlich ertönt aus der Menge heraus die Forderung, sich die verweigerten Waffen selbst zu holen. Die Massen haben keine Führer und keine Organisation. Es fehlt der entscheidende Anstoß. Da fällt, schicksalhaft, ein Schuß. Niemand wird getroffen; aber das Volk glaubt an einen Angriff und dringt mit einem Steinhagel auf die Bürgerwehr ein. Einige Bürger schießen, zwei Arbeiter werden getötet.
Nun gerät die ganze Stadt in Aufruhr. Barrikaden werden gebaut, Waffenläden erbrochen und eine der blutigen Leichen wird unter Racherufen durch die Straßen getragen. Der Kriegsminister läßt den Generalmarsch schlagen, erteilt aber noch keine Befehle an die Truppen. Das Handwerkerkorps besetzt mit Einwilligung des Ministeriums das Erdgeschoß des Zeughauses, während sich die militärische Besatzung in das obere Stockwerk zurückzieht. Fast gleichzeitig bricht die aufgeregte Menge eines der Zeughaustore auf und dringt in das Innere ein. Das Handwerkerkorps ist machtlos. Die Kompagnie des Hauptmanns von Natzmer sieht einen Kampf vor sich, der zu schwerem Blutvergießen führen muß. Der Hauptmann entschließt sich, entgegen der Übung soldatischer Ehre, die Bürger zu schonen und das Zeughaus zu räumen. Kaum sind die Soldaten abmarschiert, werden die Gewehrkisten erbrochen; die Arbeiter bewaffnen sich und ziehen ab. Da es an jeder taktischen Führung fehlt, werden die revoltierenden Massen schließlich von den herbeigeholten Truppen und der Bürgerwehr zerstreut.
Die Redner, die das Stichwort zum Sturm auf das Zeughaus gaben, werden zu mehreren Jahren Festung verurteilt, Hauptmann von Natzmer soll eine zehnjährige Freiheitsstrafe antreten, und der Leutnant Techow, der Natzmer zu seinem Entschluß bestimmte, erhält sogar fünfzehn Jahre Festung; doch ihm gelingt die Flucht in die Emigration.
Chronik Juni-September 1848
Der Frankfurter Aufstand und seine Folgen 18.–26. September 1848
1848 12.–17. Juni: Die Errichtung einer unabhängigen Nationalregierung für Böhmen und Mähren wird von der österreichischen Regierung abgelehnt und der Abzug der österreichischen Truppen verweigert. Darauf bricht in Prag ein Aufstand aus. Nach erbitterten Kämpfen und der Bombardierung der Stadt durch Artillerie errichtet Fürst von Windischgrätz eine Militärdiktatur.
23.–25. Juni: Der Aufstand der Pariser Arbeiter wird nach erbitterten Kämpfen niedergeschlagen. Das bedeutet einen Wendepunkt in der Entwicklung der gesamteuropäischen Revolution. Auch in Deutschland wird die Konterrevolution zum bewaffneten Vorgehen gegen die Volksmassen ermuntert.
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