Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Verführerin.
»Sie haben sich so viel Mühe gegeben, und er wollte trotzdem nicht tun, was Sie wollten. Wie ging es Ihnen dabei?«, fragte ich.
So eine rüde Frage hatte ich noch nie im Leben jemandem gestellt, doch ich war es satt, nach ihrer Regieanweisung zu spielen. Es lag eine seltsame Logik darin, Greene zu erschießen, um ihren Mann zu retten. Doch erschossen hatte sie ihn. Harrys Geständnis war eine Lüge gewesen.
»Das können Sie sich zugutehalten«, sagte Nora und betrachtete mich kalt. »Sie waren zu gut in Ihrem Job. Sie haben ihn am Strand zum Reden gebracht, und er hat Ihnen Sachen erzählt, die er besser für sich behalten hätte. Nachdem Sie weg waren, meinte er sogar, er überlege, ob er eine Therapie machen sollte.«
Sie lachte, als sei mein Beruf einfach lächerlich, und zum ersten Mal, seit ich sie kennengelernt hatte, hasste ich sie. Die ganze Freundlichkeit, die sie mir gegenüber an den Tag gelegt hatte – dass sie mich mit ihrem Jet nach London geflogen und sich nach meinem Vater erkundigt hatte –, war reines Kalkül gewesen. Sie hatte mich als Harrys Arzt nicht verlieren wollen, denn sie hatte mich für gefügig gehalten.
»Am Samstag hatte ich das Warten satt«, sagte sie. »Ich rief Felix an, und er kam zu mir in die Wohnung. Ich sagte, ich wüsste, was er Harry angetan hatte, und er wäre ein rückgratloser Feigling. Er meinte, er wolle es nach Möglichkeit wiedergutmachen, also habe ich ihm gesagt, was er tun soll.«
Das hat Felix also gemeint , dachte ich. Er war ins Meer gegangen und hatte sich ertränkt. War das die Tat eines Mannes, der seinen alten Freunden bei Rosenthal gegenüber bloß eine Bemerkung über Harrys Affäre fallen gelassen hatte? Das war sicher kein ausreichender Grund für einen Selbstmord. Felix war weit mehr in Greenes Tod verwickelt gewesen, als er zugegeben hatte, und er hatte gewusst, dass sein Verrat nach und nach ans Licht kommen würde. Nora hatte ihn seine Illoyalität gegenüber Harry teuer bezahlen lassen.
»Felix rief Marcus an und sagte ihm, er solle am Nachmittag Kontakt mit uns aufnehmen. Als er anrief, sagte ich, Harry wolle ihn später in East Hampton sehen. Harry war nicht gut drauf, er konnte nicht klar denken. Die Pillen hatten nicht geholfen, sie hatten es nur schlimmer gemacht. Er lag auf dem Bett und war abgrundtief deprimiert. Ich brachte ihn zum Wagen und fuhr mit ihm da raus. Felix blieb in der Wohnung. Konnte gut sein, dass wir ihn noch brauchten.
Als wir hinkamen, gab ich Harry die Beretta und sagte ihm, was er tun solle. Er war sehr krank, er zitterte und schwitzte. Er tat mir so leid. Ich ging ins Arbeitszimmer und wartete. Ich hörte das Ganze über die Wechselsprechanlage. Harry brachte Greene hier rein. Er sagte, er wäre von Sagaponack zu Fuß gekommen. Es war ein wunderschöner Tag. Harry erklärte ihm, er wisse alles, was er getan hatte, und Greene lachte nur. ›Zu spät, Harry‹, erwiderte er.
Ich wartete darauf, dass Harry es tat, doch der stand völlig neben sich. Es war, als hätte Greene ihn mit einem Zauber belegt. Ich konnte nicht klar denken. Mein Hirn schien völlig überlastet, und ich konnte meine Atemzüge nicht hören. Ich hatte aus New York eine Waffe mitgebracht. Ich verließ das Arbeitszimmer und ging hinten ums Haus herum. Marcus stand mit dem Rücken zu mir. Ich kam durch den Wintergarten. Er bemerkte mich erst, als ich drin war.«
»Und da haben Sie ihn erschossen?«, fragte ich.
»Er drehte sich zu mir um. Als sein Blick auf die Waffe fiel, war er schockiert, als verstünde er es einfach nicht, daran erinnere ich mich gut. Dann lächelte er. Ich glaube, er dachte, ich könnte es nicht. Dumm. Harry hat mir die Waffe gekauft, aber etwas habe ich Ihnen nicht erzählt. Ich habe auf einem Schießstand gelernt, wie man damit umgeht.«
Als sie das sagte, schwang sie die Beretta mit beiden Händen hoch, eine über die andere um den Griff gelegt, und zeigte direkt auf mich. Ihre Arme verharrten kurz in Position, und mein Herz raste. Dann senkte sie sie wieder, die Demonstration war vorbei.
»Ich habe nichts gesagt, sondern habe ihm nur in die Brust geschossen. Er fiel um und lag zuckend am Boden. Sofort war alles voller Blut. Da wusste ich, dass er sterben würde.«
Ich dachte an das Foto, das Pagonis mir in Yaphank über den Tisch geschoben hatte − Greene lag in seinem Blut auf dem Teppich −, und betrachtete die Stelle am Fußboden, wo Anna mich hingeschoben hatte, um mich zu bestrafen. Ich
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