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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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sagen?«
    »Die Polizei hält sich bedeckt, doch meine Quellen berichten mir, dass der Tote ein Bankier ist, der an der Wall Street kein Unbekannter war.«
    »Jesus«, sagte ich wegen des Kopfhörers laut vor mich hin. Eine Frau auf einem Laufband in der Nähe bedachte mich mit einem missbilligenden Blick. »Tut mir leid«, meinte ich und hob eine Hand, die vor Angst zitterte, als ich sie auf das Geländer des Laufbands legte.
    Noch Wochen danach war das bedrohliche Gefühl, dass die Welt um mich herum zusammenbrach, nie weit weg; und selbst jetzt noch kann, wenn ich in New York bin, ein kurzer Blick auf Fox News mein Herz aus dem Takt bringen. Denn es stand nicht nur meine Lebensgrundlage auf Messers Schneide, es kam auch die Gefahr dazu, aus meinem sicheren Gefüge herausgerissen zu werden, der Distanziertheit, die ich zwischen mir und anderen Menschen mit ihren ganzen verworrenen Gefühlen aufgebaut hatte. Liebe. Eifersucht. Verzweiflung.
    Hass.
    Nachdem ich den Kopfhörer abgesetzt hatte, kehrte ich dem Laufband den Rücken und ging in die Umkleide. In der Nähe der Tür zum Geräteraum überkam mich eine Welle der Übelkeit, und ich setzte mich, um den Kopf zwischen die Knie zu stecken. Ich brauchte nicht mehr zuzusehen, ich wusste schon, was passiert war: Harry Shapiro hatte sich umgebracht. Ich war mir auch völlig sicher, dass es meine Schuld war.
    Wenn Rebecca Dienst hatte, kam sie manchmal in den frühen Morgenstunden nach Hause und setzte sich schweigend in die Küche, bevor sie ins Bett kam. Dann wusste ich, dass ihr ein Patient auf dem OP-Tisch gestorben war. Wir Psychiater verlieren nicht viele Patienten, also gewöhnen wir uns nicht so daran, wie Chirurgen es vermutlich tun. Es hatten schon Patienten von mir Selbstmord begangen, aber sosehr es mich auch mitgenommen hatte, so hatte ich doch nie geglaubt, es sei meine Schuld. Sie hatten eine chronische Erkrankung, hatten lange Zeit gegen ihren Todeswunsch angekämpft, und ich hatte alles getan, um ihnen zu helfen.
    Bei Harry war das anders. Ich hatte gewusst, dass er in Gefahr war, und ich hatte ihn sterben lassen. Ich hatte mich einschüchtern und dazu erpressen lassen, ihn im Stich zu lassen.
    Ich hatte den Kopf noch zwischen den Knien, doch der Speichel lief mir nicht mehr im Mund zusammen, und die Übelkeit ließ langsam nach. Als ich den Kopf hob, fiel mein Blick auf einen Trainer, der mich besorgt betrachtete. Er dachte wohl, ich hätte es auf dem Laufband übertrieben. Ich verzog das Gesicht, als hätte er recht, stand auf und schnappte mir ein Handtuch. Dann ging ich unter die Dusche und blieb lange darunter stehen.

2
    Harry kam ins Episcopal, als ich am Freitag Nachtdienst hatte. Ich war oben auf Zwölf Süd und versuchte gerade, einen Patienten mit paranoider Schizophrenie aus einer Weichzelle zu locken, als Maisie Knox mich aus der psychiatrischen Notaufnahme anpiepste.
    Der Schizophrene war vor ein paar Stunden auf einer Fahrtrage aus dem Central Park eingeliefert worden, wo er den Verkehr angebrüllt und Passanten, die ihre Hunde spazieren führten, belästigt hatte. Nach einer Spritze mit Haldol und Ativan, dem Cocktail aus Neuroleptikum und Beruhigungsmittel, mit dem wir gefährliche Patienten bändigten, hatte ich ihn stationär aufgenommen – bei einer goldenen Krankenversicherungskarte brauchten wir uns mit niemandem herumzuschlagen, um ein paar Dollar zu sparen. Als er eine Stunde später wieder zu sich kam, war er ruhiger, aber immer noch halsstarrig.
    Maisie war eine vierzigjährige Assistenzärztin, die gutes Aussehen – freundliche Augen und ungebärdige blonde Locken, die sie sich immer hinters Ohr strich –, Gelassenheit und vor allem Kompetenz in einer perfekten Symbiose vereinte. Ich war froh, ihre Stimme zu hören, doch angepiepst zu werden bedeutete immer eine Unterbrechung, und ich hatte selbstsüchtig gehofft, den Rest der Schicht ungestört hinter mich bringen zu können.
    »Hier ist ein Patient, den Sie sich vermutlich ansehen sollten«, sagte sie, als ich sie anrief. Ihr Tonfall war ruhig wie immer, doch ich spürte etwas: Nervosität? Aufregung?
    »Was ist los mit ihm?«
    »Er ist deprimiert.«
    »Ich fühle mich auch ein wenig deprimiert. Kann er nicht warten?«
    »Ich glaube nicht.«
    Trotz meiner Schwäche für Maisie war ich allmählich ein wenig genervt. In der Notaufnahme gibt es eine gewisse Reihenfolge: zuerst eine Krankenschwester, dann ein Assistenzarzt und erst dann der Oberarzt. Ich war im Dienst, aber

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