Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Sie schob ihr Gesicht neben meines, um durch den Spalt im Vorhang zu spähen, und wir schauten die Einfahrt hoch, an dem Bretterzaun und den Trauerweiden vorbei. Das Auto war neben meinem stehen geblieben, und der Fahrer stieg aus. Halb dachte ich immer noch, es könnte Nathan sein, der unsere Verabredung, dass er in die Stadt zurückfuhr, ignoriert hatte. Was ist, wenn er uns so zusammen erwischt?, überlegte ich. Diesmal wird er mich wirklich erwürgen . Doch eigentlich glaubte ich es nicht. Ich wusste, dass hinter dem Lenkrad kein Mann gesessen hatte. Es war eine Frau − die Frau, die in dieser Angelegenheit die ganze Zeit die Fäden gezogen und die außer Harry alle an der Nase herumgeführt hatte.
Als sie die Scheinwerfer ausmachte und ausstieg, war ihr Gesicht in Dunkelheit getaucht. Eine Wolke verdeckte den Mond, nur ihr Umriss zeichnete sich vor dem immer noch glühenden Himmel ab. Sie blieb kurz neben dem Wagen stehen, ging zu meinem und bewegte sich mit langsamen, besonnenen Schritten darum herum, als untersuchte sie ihn auf Schäden. Sie bückte sich, um ins Fenster zu schauen, dann richtete sie sich auf und ging auf den Rasen und verschwand außer Sichtweite.
»Wo geht sie hin?«, flüsterte Anna.
»Ich weiß nicht. Ich kann …«
Ich hielt inne, als die Frau hinter dem Haus wieder auftauchte und zur Küchentür ging. Aus der Handtasche holte sie einen Schlüssel und schloss sie auf. Als sie hineinging, erwartete ich, dass sie Licht einschaltete, doch der Raum blieb dunkel. Wir hatten den Blick auf die Vorderseite des Hauses, doch solange kein Licht anging, nützte uns das nichts. Da tauchte der Mond hinter den Wolken auf. Er schien in den Wintergarten und warf ein wenig Licht ins Wohnzimmer. Es war leer, bis die Frau eine oder zwei Minuten später hineintrat. Sie ging durchs Zimmer und blieb genau an der Stelle stehen, wo Greene gestorben war.
Ich schaute kurz zu Anna − sie hatte die Lippen geöffnet, und der Morgenmantel war auseinandergerutscht und zeigte ihre Brüste −, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die andere Frau richtete. Sie ging in die Küche, schaltete dort das Licht an und war jetzt zum ersten Mal deutlich zu sehen. Bei der Wechselsprechanlage an der Tür blieb sie stehen und drückte einen Knopf, wie Anna es gemacht hatte, als ich zum ersten Mal dort gewesen war. In dem Augenblick erfüllte ein elektronisches Knistern den Raum, und mir fiel ein, dass Anna mir erklärt hatte, das ganze Anwesen sei verkabelt.
»Dr. Cowper?«, sagte eine körperlose Stimme.
Wir fuhren zusammen, und Anna, kreidebleich vor Panik, sah mich an. Sie schüttelte den Kopf, beschwor mich, nicht zu antworten.
»Ich weiß, dass Sie da sind«, sagte die Stimme sachlich.
Anna sah mich wieder an, und ich zuckte die Achseln. Das Cottage konnte man nur durch die Haustür verlassen, direkt im Blickfeld unserer Peinigerin. An der Rückseite des Gebäudes lagen Teiche und Schilf, und ich konnte kaum gehen, geschweige denn aus einem Fenster klettern und schwimmen. Das einzige bisschen Privatheit, das uns noch geblieben war, war die Tatsache, dass Anna nicht vom Scheinwerferlicht erfasst worden war. Das konnte ich nicht opfern.
»Ja, Mrs Shapiro?«, sagte ich.
»Kommen Sie rüber«, sagte Nora.
28
Ich trat durch die Haustür des Gästehauses in die Nachtluft, die kühl über meine Haut strich, denn die letzte Wärme des Nachmittags war verschwunden. Ich ging den Weg hinunter, wo ich vor wenigen Stunden mit Anna gestanden hatte. Dann überquerte ich die schmale Straße zur Einfahrt der Shapiros. Der Mond stand jetzt voll am Himmel, und die Nacht war still: keine Sirenen, kein Stadtlärm, nichts als das Rauschen des Meeres. Als ich die Einfahrt hochging, hallte das Knirschen des Kieses unter meinen Schuhen durch die Nacht.
Wenn ich diesen Weg am hellen Tag mit dem Auto hochgefahren war, hatte ich mich ganz darauf konzentriert, die Steigung zu schaffen, und so war mir gar nicht aufgefallen, dass die überhängenden Bäume einen Tunnel bildeten, der das Haus bis zuletzt vor Blicken verbarg. Es war raffinierter, als mir in der Eile aufgefallen war. Ich schaute im Gehen hoch zum Haus, doch außer dem Licht konnte ich durch die Bäume nichts erkennen. Als ich um die letzte Biegung kam, standen vor mir zwei Autos: meines und Noras Range Rover.
Ich ging zu meinem Wagen und öffnete so leise wie möglich die Beifahrertür. Das Auto war nicht verschlossen, denn das war mir nicht wichtig erschienen, als ich
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