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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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ihr am wahrscheinlichsten schien. Dass sie zusammen mit jenem Mann, dessen Anblick sie aus ihrem Gedächtnis zu verbannen suchte, zur Verantwortung gezogen werden würde. Vielleicht würde Cadell dann endlich begreifen, dass sie ihn nicht verraten hatte.
    »Bisher ist nichts geschehen«, erwiderte Guy. »Die beiden sind Brüder, sie werden es unter sich ausmachen. Wir müssen abwarten, Marie.«
    Sie nickte erneut. Ihr Leben schien nur noch aus Warten zu bestehen, bis das nächste Unheil eintraf.

    Zwei Wochen vergingen. Angharad erschien einige Male, um Maries Verbände zu wechseln. Sie murmelte wütende Worte in unverständlichem Walisisch, schien allerdings erfreut, das Rabenamulett an Maries Hals zu entdecken. Marie wollte nicht darauf hinweisen, dass die alte heidnische Göttin ihr bisher ebenso wenig geholfen hatte wie Vater Brians Versprechen, für sie zum christlichen Herrgott zu beten.
    Schließlich wurden die Verbände entfernt. Die Haut auf Maries Händen war fleckig und nässte an einigen Stellen. Auf ihren Handflächen hatten die heißen Käfigstäbe rissige Furchen hinterlassen. Doch sie konnte sämtliche Finger bewegen. Der Gänsekiel schmiegte sich ganz selbstverständlich in ihren Griff, als sie wieder mit ihrer Geschichte fortfuhr, um jene laute Stille zu verdrängen, die Cleopatras Tod in ihrem Gemach hinterlassen hatte.
    Hawisa brachte regelmäßig Mahlzeiten. Sie bemühte sich, belanglose Gespräche zu beginnen, doch Marie ging darauf nicht ein. So kauten sie schweigend zusammen, leerten den üblichen Bierkrug, bevor sie sich abends gemeinsam niederlegten. Cadell zeigte sich nicht; dennoch zuckte Marie bei jedem lauten Geräusch vor ihrer Tür furchtsam zusammen. Einmal fragte sie Hawisa, ob sie in der Zwischenzeit wieder ihren Liebhaber getroffen hätte, und erhielt nur ein trauriges Kopfschütteln zur Antwort.
    Als drückend schwere Sommerhitze wieder durch die Fensteröffnung drang, obwohl die Tage langsam kürzer wurden, hallte eines Nachmittags das Trampeln zahlloser Stiefel durch das Gemäuer. Marie lief zum Fenster und sah, wie das Eingangstor zum Burggelände geschlossen wurde. Sämtliche Dienstboten, die sich gewöhnlich auf dem Hof herumtrieben, waren verschwunden, da sie wohl im Inneren gebraucht wurden. Sie unterdrückte den Wunsch, sich unter dem Tisch oder ihrem Bett zu verkriechen, denn dort würde
sie bald schon entdeckt werden. Stattdessen legte sie Pergament, Federkiel und Tintenfass wieder in ihre Truhe, um sich dann auf den Stuhl zu setzen und zu warten.
    Rhys ap Gruffydd musste mit seinem Gefolge eingetroffen sein, um das Urteil über den verräterischen Bruder und dessen normannische Gemahlin zu treffen.
    Bald schon kam Hawisa aufgeregt herein.
    »Prinz Rhys ist hier, Marie. Zusammen mit Gwen. Du sollst im Rittersaal erscheinen.«
    Marie stand langsam auf, blickte an sich hinab. Sie trug wie gewohnt nur ihre Chemise, denn es waren Monate vergangen, seit sie in der Öffentlichkeit erschienen war. Hawisa lief entschlossen zur Truhe, zog den ersten Bliaut heraus, der ihr in die Hände fiel.
    »Komm schon, ich kleide dich an.«
    Während Marie sich den eifrigen Bemühungen ihrer Zofe überließ, staunte sie, mit welchem Aufwand sie hergerichtet wurde, um in ein Verlies geführt zu werden.
    »Jetzt siehst du annehmbar aus«, meinte Hawisa schließlich zufrieden. Maries Lippen verzogen sich zu einem bemühten Lächeln. Sie hatte Spiegel lange gemieden, wollte auch jetzt in keinen blicken. Cadell hatte ihr überaus deutlich gemacht, was sie war. Eine graue Maus. Eine abgemagerte Krähe.
    »Folge mir und lass den Kopf nicht hängen. Du bist klug und vermagst gewandt zu reden. Das wird dir helfen.«
    Marie hatte sich noch niemals so schwach und wehrlos gefühlt wie in dem Moment, da sie wieder das Gemach verließ, in dem sie lange Zeit eingesperrt gewesen war, aber auch Zuflucht gefunden hatte. Schon nach wenigen Schritten wurden ihre Beine müde. Sie folgte Hawisa die Windungen der Treppe hinab. Der Rittersaal schien auf einmal so riesig, dass ihr fast schwindelig wurde, als er sich vor ihren Augen auftat.

    »Willkommen, Mary Tantschu.«
    Gwenllian klang nicht spöttisch, nur etwas verlegen. Marie beugte die Knie, um den Prinzen und seine Gemahlin zu begrüßen. Obwohl die Burg voller bewaffneter Männer war, konnte sie außer dem Herrscherpaar nur Cadell in dem großen Raum erkennen, der auf der Tribüne saß. Auch wenn alles in ihr rebellierte, wusste sie, dass sie an seiner Seite

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