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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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zu sein hatte. Gehorsam sank sie auf ihren angestammten Platz. Ihr Gemahl hatte den Blick auf die hölzerne Tafel gerichtet. Sie war froh, ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
    »Seit unserer letzten Begegnung ist viel geschehen«, begann Prinz Rhys gefasst. »Wir haben den Angriff des englischen Königs abgewehrt. Doch nun hat uns eine unerwartete Nachricht erreicht. Die Königin Englands wünscht, die Nichte ihres Gemahls, Marie d’Anjou, wieder an ihren Hof zu holen.«
    Er verstummte für einen Augenblick und sah seinen Bruder an. Cadell hob kurz den Kopf, um ein verwirrtes Grunzen auszustoßen. Marie hörte ein Rauschen in ihren Ohren. Das alles musste ein Traum sein.
    »Was ist mit Euch, Mary Tantschu. Wollt Ihr wieder nach England zurück?«, fragte Gwen. Marie blickte fassungslos in die blauen Augen der Waliserin.
    »Ich … ich … wäre bereit zu gehen, wenn es dem allgemeinen Wohl dient«, sagte sie vorsichtig, denn sie war sicher, dass ihr gerade eben eine Falle gestellt wurde. Dann griff sie nach dem Krug, der vor ihr auf dem Tisch stand. Ihr Mund fühlte sich ausgedörrt an.
    »Was ist mit Euren Händen geschehen, Madam?«, kam es nun vom Prinzen Rhys. Marie schwieg unschlüssig. Welchen Sinn machte es, Cadell der Grausamkeit zu bezichtigen? In diesem Augenblick wäre es vielleicht ein großer Fehler.
    »Sie stieß eine Kerze um, und die Ärmel ihres Gewandes
fingen Feuer«, erklärte Cadell, noch bevor sie selbst eine geeignete Erklärung für ihre Narben gefunden hatte. Marie senkte den Blick und widersprach nicht.
    Der Prinz räusperte sich.
    »Nun, der englische König bot mir an, meine Söhne wieder nach Wales zu schicken, wenn ich seine Nichte in Frieden ziehen lasse. Ich bin bereit, dieses Angebot anzunehmen, falls mein Bruder damit einverstanden ist.«
    Marie bohrte ihre Fingernägel in ihre Handflächen. Es musste sich wirklich um einen Traum handeln, die Sehnsucht spielte böse Spiele mit ihr. Dennoch konnte sie nicht umhin, ihren Blick flehend auf Cadell zu richten, auch wenn ihr dabei ein Schauer über den Rücken lief. In diesem Moment wäre sie bereit gewesen, seine Füße zu küssen, nur damit er sie gehen ließ.
    Er saß zusammengekauert und noch etwas krummer als gewöhnlich da. Sie merkte, dass ein starker Geruch von Schweiß und Bier von ihm ausging. Er hatte wohl nicht einmal versucht, vor der Rache seines Bruders zu fliehen, sondern Zorn und Angst auf die übliche Weise betäubt. Es erschreckte sie fast, dass ein derart gebrochener Mensch ihr nichts als Widerwillen einflößen konnte.
    »Meinetwegen, schick das Weib fort, Rhys. Ich wollte sie doch niemals haben«, stieß ihr Gemahl hervor. »Und dann mach mit mir, was du willst, so wie du es schon immer getan hast.«
    Bei diesen Worten wurde Marie klar, wie wenig sie über das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern wusste.
    »Du kannst jetzt gehen, Mary Tantschu«, unterbrach Gwenllian die unangenehme Stille. »Wir werden den Rest untereinander klären. Versuche, uns in guter Erinnerung zu behalten.«
    Marie stand und musste sich dabei an der Tischfläche
abstützen, so schwach waren ihre Beine. Mit unendlicher Dankbarkeit sah sie die Waliserin an. Für einen Moment schien es ihr sogar möglich, ein paar gute Erinnerungen an ihre Zeit in Wales mit sich zu nehmen. Der Prinz und seine Gemahlin hatten sich unerwartet großmütig gezeigt.
    Vor der Tür wartete Hawisa, um sie wieder in ihr Gemach zu begleiten.
    »Nun, was gibt es?«, fragte sie ungeduldig. Marie vermochte nicht zu reden, bevor sie sich wieder an jenem Ort befand, der ihr ebenso vertraut wie verhasst war. Dann musterte sie aufmerksam die spärlichen Möbelstücke und steinernen Wände ihres Verlieses, wo Cleopatra gestorben war. Zehn Schritte von einem Eck zum anderen. Ein Stück Himmel vor dem Fenster.
    Völlig erschöpft sank sie auf ihr Bett und richtete den Blick auf Hawisa, die ratlos vor ihr stand.
    »Es scheint, dass dein Schreiben an den Königshof wirkungsvoll war. Angeblich verlangt man dort nach mir. Und der Prinz lässt mich gehen.«
    Hawisa lächelte zaghaft.
    »Freust du dich denn nicht, Marie? Das sind doch gute Nachrichten.«
    Ein Krampf zwängte Maries Brust zusammen, und sie schnappte verzweifelt nach Luft. Schließlich schluchzte sie auf, verbarg ihr Gesicht in den Händen, sank auf die Matratze und weinte, wie sie es lange nicht vermocht hatte. Um die Art, wie sie in der Hochzeitsnacht ihre Unschuld verlor, um die endlosen Tage in einem winzigen

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