Die Dichterin von Aquitanien
hinter mir. Ich will nicht an die Zeit meiner Ehe erinnert werden und bin froh, weit weg von meinem Gemahl zu leben.«
Marie verstand, obwohl Torqueris Leid von ganz anderer Art gewesen war als das ihre.
»Das heißt, du willst nun zu Henris Gefolge gehören? Hat der König denn Verwendung für dich?«
Torqueri schüttelte den Kopf.
»Was soll ich bei dem König? Auch ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich werde in ein Kloster gehen, Marie. Mein Gemahl kann seine Buhle als Gemahlin an seinem Hof leben lassen, und ich werde ihm nicht im Weg stehen. Was würde es denn nützen?«
Marie fühlte einen Stich in der Brust.
»In welches Kloster? Aliénor spricht oft von Fontevrault. Das wäre in der Nähe von Poitiers.«
»Dahin möchte ich nicht. Ich will in England bleiben. Es ist rau und frostig, nicht so gefällig wie meine Heimat. Deshalb passt eine alte, unscheinbare Frau besser in dieses Land. Ich gehe nach Edwardstowe, wo Henris uneheliche Schwester demnächst Äbtissin werden wird. Ich habe dir einmal
von ihr erzählt, weißt du noch? Die andere Marie d’Anjou. Ich mochte sie damals. Sie war eine ruhige, kluge Frau. Dich würde sie mit Sicherheit ins Herz schließen.«
Marie empfand im Augenblick kein Verlangen, die bisher unbekannte Verwandte kennenzulernen. Doch die Vorstellung, sich von der gutherzigen Torqueri trennen zu müssen, löste tiefe Wehmut in ihr aus.
»Bist du dir wirklich sicher?«, fragte sie.
Torqueri nickte nur.
Maries Habseligkeiten wurden zu Bündeln gerollt und in Kisten gesteckt. Sie wickelte jede Pergamentrolle selbst in Tücher, um sie vor Schaden zu schützen, und wachte darüber, dass ihre Bücher durch Hawisa sorgfältig verstaut wurden. Es war erstaunlich, wie viele Dinge sie inzwischen besaß.
»Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst«, unterbrach sie Hawisas geschäftiges Herumlaufen. »Ich werde die Königin bitten, eine Anstellung in London für dich zu finden, damit du bei deiner Familie bleiben kannst.«
Hawisa blieb kurz stehen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Ich bliebe ja gern, aber eine Herrin wie dich finde ich nie wieder«, meinte sie nach einer kurzen Pause. »Und außerdem«, fügte sie hinzu, »kann ich mir ein härteres Los vorstellen, als das berüchtigte Aquitanien kennenzulernen.«
Zusammen durchstöberten sie nun Maries Truhe, um zu entscheiden, was mitgenommen oder zurückgelassen werden sollte. Das Rabenamulett tauchte wieder auf, und Marie wollte sich nicht von ihm trennen. Dann fiel ihr ein kleiner, rissiger Stein in die Hände.
Es war lange her, dass sie an Jean aus Bordeaux gedacht hatte. In Wales hatte die Erinnerung an seine Worte ihr
Trost geschenkt, doch mittlerweile war sie zu beschäftigt, um in Träumereien zu versinken. Er war das Vorbild für den Ritter gewesen, über den Marie nun schrieb. Aber wie viel mochte der mittlerweile zum Mann gewordene Jean tatsächlich mit dem Geliebten ihrer Fantasien gemein haben?
Marie schüttelte den Gedanken ab. Sie würde den Knaben, der von einer Zukunft als Troubadour geträumt hatte, vermutlich niemals wiedersehen. Trotzdem beschloss sie, den Stein zu behalten.
Es brauchte sieben Schiffe, um Aliénors Besitztümer und die Mitgift Matildas nach Barfleur zu schaffen. Vier Wochen lang waren Händler, Juweliere und zahllose Näherinnen durch die Gänge der Burg geeilt, damit die Königstochter angemessen ausgestattet wurde, bevor man sie einem fremden, zweiunddreißigjährigen Mann übergab.
In Rouen traf die Eskorte des sächsischen Herzogs ein. Während der Reise hatte Aliénor mehr Zeit mit ihrer Tochter verbracht als jemals zuvor, um sie auf ihre zukünftigen Aufgaben als Gemahlin eines Herrschers vorzubereiten. Dabei war Maries Gegenwart unerwünscht gewesen. Sie kam nicht gegen das Eindruck an, dass Matilda ihre Liebesgeschichten niemals hatte hören sollen, damit sie nicht auf den Gedanken verfiel, sich etwas anderes zu wünschen als eine vorbestimmte Ehe mit einem fremden Mann. Nun nahmen Mutter und Tochter voneinander Abschied. Matilda, die bisher sehr gefasst, mitunter fröhlich gewirkt hatte, schlang plötzlich weinend ihre Arme um Aliénor, die ihre Tochter kurz und innig an sich drückte. Dann aber forderte sie Matilda mit strenger Stimme auf, in die bereitgestellte Sänfte zu steigen. Eine fremde Dame trat heran und reichte dem Mädchen die Hand. Wie eine geschmückte, willenlose Statue ließ Matilda sich zur Sänfte ziehen, und die
Pferde trugen sie
Weitere Kostenlose Bücher