Die Dichterin von Aquitanien
sollte.
»Marie, ich muss dich ankleiden«, riss eine vertraute Stimme sie aus ihren Betrachtungen. »Im Empfangssaal soll nach dem Mittagsmahl ein Wettbewerb unter Troubadouren stattfinden, und du wirst eine der Richterinnen sein, die das Urteil fällen. Jetzt sag bitte nicht, dass du es hast vergessen.«
Hawisa eilte weiter in das kleine Schlafgemach, in dem Maries Truhe stand.
Seit Aliénors Ankunft hatte sich der Hof von Poitiers in einen beliebten Aufenthaltsort für edle Schwäne und eitle Pfauen verwandelt. Marie hatte noch niemals zuvor so viele geschlitzte Ärmel gesehen, die leuchtende Chemises aus Seide preisgaben, mit Edelsteinen bestickte Borten und lange Schleppen, die den Dienstboten das Kehren der Gänge ersparten. Sie selbst kleidete sich trotz Hawisas Protesten so schlicht wie möglich. Es missfiel ihr, stets aufpassen zu müssen, dass sie beim Aufstehen nicht auf die bodenlangen Ärmel ihres Gewands trat. Zudem war sie sich bewusst, höfischen Schönheiten wie Emma niemals das Wasser reichen zu können, meinte, dass jeder derartige Versuch sie nur der Lächerlichkeit preisgeben würde. Die Zungen am Hof von Poitiers waren ebenso spitz wie die Ärmel und Schleppen seiner Bewohner.
»Du brauchst dich nicht so anzustrengen. Ich bin bereits angezogen«, meinte Marie zu ihrer Zofe, die das Gesicht verzog.
»Du stehst in der Gunst der Königin und läufst herum wie die Tochter eines verarmten Ritters«, sagte sie mit einem missbilligenden Blick auf Maries braunen Bliaut, den nur ein paar Bernsteinkugeln am Saum von Ärmeln und Ausschnitt zierten.
»Ich mag dieses Gewand. Es ist bequem und behindert mich nicht beim Gehen. Mit diesen Schleppen bleibt man überall hängen«, widersprach Marie. »Außerdem ist es egal, wie ich aussehe. Alle Leute hier wissen, dass ich in der Gunst der Königin stehe, denn sobald ich aus diesem Raum trete, warten schon ein paar hoffnungsvolle Dichter auf mich, die mir ihre Werke vortragen wollen.«
Nun lachte Hawisa.
»Und sobald du dich wieder hier verkrochen hast, stellen sie mir nach, damit ich bei dir ein gutes Wort für sie einlege. Ehrlich gesagt waren noch nie so viele Männer hinter mir her.«
Nach diesen Worten drückte sie Marie auf einen Stuhl und begann, ihr Haar durchzukämmen.
»Ich kann dir einen Kranz flechten oder du lässt dein Haar offen. Ganz wie du willst.«
»Du brauchst dich nicht zu sehr zu bemühen. Ich werde meinen dunklen Schleier tragen. Der ist nicht durchsichtig«, meinte Marie gleichmütig. Hawisa verzog erneut das Gesicht.
»Welche junge Frau außer dir tut das in Poitiers? Du hast wunderschönes Haar und …«
»Und ich mag es nicht angestarrt zu werden«, fiel ihr Marie ins Wort. Diesmal blieb ihre Zofe still, obwohl sich missmutige Fältchen um ihre Mundwinkel gruben. Emsig fuhr sie mit dem Bürsten fort, bevor sie Marie schließlich einen Spiegel hinhielt. Glänzende braune Locken wellten sich weich über ihre Schultern. Kurz schien es Marie, dass sie sogar recht hübsch aussah. Aber darauf kam es nicht an.
»Jetzt gib mir den Schleier. Ich bin froh, dass ich hier kein Gebände tragen muss. Der Silberreif genügt.«
Als der Reif so fest auf ihrem Kopf saß, dass sie den Schleier unterwegs nicht verlieren konnte, streifte Marie sich ihre
Seidenhandschuhe über und ging los. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, ihre Hände in der Öffentlichkeit stets zu verbergen. So entging sie neugierigen Fragen, woher die Narben stammten, und musste außerdem nicht immer daran denken, die Tintenflecke von ihrer Haut zu entfernen.
Aus den anderen Gemächern strömten ebenfalls Damen in den Gang des Palastes. Emma erschien in einem smaragdgrünen Bliaut, der ihr kupferrotes Haar zum Strahlen brachte. Ihre Augen waren mit Kohle umrandet, die Wangen künstlich gerötet. An ihrer Seite ging Marguerite, die zusammen mit Aliénor nach Poitiers gekommen war. Marie staunte, denn trotz ihrer edlen Abkunft war die zukünftige englische Königin außer ihr das unscheinbarste Wesen in der Runde. Drei Nichten Aliénors sollten noch auf der Richtertribüne sitzen: Isabelle de Vermandois, die älteste Tochter Petronillas, nun junge Gräfin von Flandern, außerdem Gracia und Sybil, die Töchter Raoul de Fayes, der Aliénors Onkel und Seneschall von Aquitanien war. Als Verwalter ihrer Ländereien hatte er der Herzogin gleich nach ihrer Ankunft in Poitiers seine Aufwartung gemacht. Die jungen Damen trugen ebenfalls farbenfroh leuchtende Gewänder und
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