Die Dichterin von Aquitanien
hatten hauchzarte Schleier auf ihren Köpfen drapiert oder ihr Haar mit feinen Netzen in kunstvolle Formen gebracht. Schmucksteine blitzten in dem Licht, das durch die Fensteröffnungen eindrang. Aliénor hatte sich mit Raoul de Faye zu einem persönlichen Gespräch zurückgezogen, sodass ihre Damen allein die Vorauswahl unter all den eingetroffenen Künstlern treffen sollten. Ein hoher Tisch war aufgestellt und mit einem scharlachroten Tuch bedeckt worden. Die Damen nahmen dahinter Platz, während Bedienstete vergoldete Becher füllten. Marie ließ den schweren Wein über ihre Zunge gleiten. In Poitiers hatte sie wieder gelernt, die Freuden des Lebens zu genießen. Neugierig musterte sie
die Versammelten auf der anderen Seite des Tischs. Der Saal war brechend voll.
Eine bunte Menge von Männern aller Altersklassen und unterschiedlichster Herkunft hatte sich eingefunden. Junge Ritter, denen das Schicksal kein großzügiges Erbe gegönnt hatte, hoffnungsvolle Söhne von Handwerkern und Händlern, auch ein paar Geistliche in dunklen Roben. Marie wurde bewusst, dass sie erstmals im Leben das Recht haben sollte, über die Zukunft anderer Menschen zu entscheiden. Nur wer in diesem Wettbewerb in die engere Wahl kam, hatte die Möglichkeit, fester Bestandteil des glanzvollen Hofes von Poitiers zu werden. Aliénors Großvater galt als erster großer Troubadour. Mit seinen Liedern über Liebe, Lust und das Leben hatte er zahllose Zuhörer begeistern und seiner Kunst Ansehen verschaffen können. Nun wurden würdige Nachfolger gesucht.
Ein Herold fuchtelte mit einer Liste herum, auf der sich die Teilnehmer hatten eintragen lassen. Im Hintergrund wurden Rufe laut, ob nicht auch neu eingetroffene Sänger und Musiker vorspielen dürften. Emma schnaubte, denn dieses Chaos missfiel ihr.
»Wir warten einfach, bis alle Angemeldeten aufgetreten sind. Und wenn wir nicht zu viele begabte Künstler entdecken sollten, dürfen die Nachzügler ihr Glück versuchen«, schlug Isabelle von Flandern vor. Keine der Damen widersprach, sodass der Herold den ersten Namen aufrufen konnte.
»Denis Piramus!«
Ein Knabe in der Kutte eines Geistlichen trat vor. Marie bemerkte, wie seine Hände sich zu hilflosen Fäusten ballten und der Schweiß ihm über die Schläfen lief. Mitgefühl stieg in ihr hoch, doch wer sich im Leben als Künstler durchschlagen wollte, musste zu öffentlichen Auftritten bereit sein, ganz gleich, wie das Urteil der Zuhörer ausfallen sollte.
Dem Jungen fiel es sichtlich schwer. Er presste stotternd ein paar Passagen aus Ovids Kunst des Liebens hervor. Leider spuckte er dabei, sodass Emma sogleich angewidert ihr Gesicht verzog. Der Junge verstummte, suchte noch kurz nach Worten, um sich dann mit gesenkten Schultern zu entfernen.
»Soll das jetzt die ganze Zeit so weitergehen? Eine hoffnungslose Missgeburt nach der anderen?«, meinte Maries junge Tante lauter als notwendig zu Marguerite. Das halbwüchsige Mädchen blickte etwas ratlos drein. Ihr schien das Schauspiel auch nicht zu gefallen. Der junge Mönch hatte wohl etwas von den Worten mitbekommen, denn er wandte den Kopf. Marie wurde kalt. In den eben noch verängstigten Augen blitzte blanker Hass auf.
Drei Bauernburschen folgten auf den unglücklichen Denis. Falls sie Emmas abfällige Bemerkung gehört hatten, so störten sie sich nicht daran, sondern trugen mit Begeisterung ein zotiges Lied über die Verführung von störrischen Jungfrauen vor. Sie schlugen sich mit den Händen auf die Schenkel, bewegten ihre Hüften in sehr eindeutiger Weise und boten insgesamt einen erfrischend unverkrampften Anblick. Ihr Gesang war nicht ganz harmonisch, aber kräftig und voller Leben. Marie hätte sie vielleicht in die engere Wahl gezogen, doch Isabelle meinte, ein derartiges Lied sei unpassend für den Hof ihrer königlichen Tante.
Die Burschen trollten sich, schienen aber nicht besonders niedergeschlagen. Marie war bereits aufgefallen, dass es vielen Weinbauern in dieser Gegend nicht schlecht ging. Die drei prahlenden Verführer waren ordentlich gekleidet und besser genährt als viele Ritter im Saal. Sie tuschelten miteinander und schubsten sich gegenseitig, als sie hinausgingen. Vermutlich waren sie nur gekommen, um in ihrem Heimatdorf noch viele Monate damit prahlen zu können, dass sie vor den Damen der Königin aufgetreten waren.
Zwei Ritter in zerschlissenen Wollkitteln folgten. Einer ließ den Bogen über seine Fidel jagen, der andere stimmte eine Melodie auf der Harfe
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