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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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davon. Marie folgte mit den anderen Damen an Aliénors Seite, während die Eskorte durch Rouen zog, dessen Einwohner neugierig und jubelnd zusahen. Aus den Augenwinkeln musterte sie das Gesicht der Königin. Es war eine vornehme Maske, nur ein leichtes Blinzeln der Augen zeugte vielleicht von etwas Trennungsschmerz, als die Eskorte ins Freie gelangte und das Tor der Stadtmauer hinter ihr zufiel.
    »Macht Sie sich denn keine Sorgen, wie es Matilda mit einem völlig fremden Mann ergehen wird?«, flüsterte Marie Emma zu. Sie hätte viel lieber mit Torqueri gesprochen, deren Gegenwart sie schmerzlich vermisste.
    »Hast du es denn immer noch nicht begriffen? Mädchen werden verheiratet und in die Fremde geschickt. Die Königin hat stets gewusst, dass sie sich von ihren Töchtern eines Tages wird trennen müssen. Deshalb sind ihr die Söhne wichtiger. Richard vor allem. Sie weiß, dass er der Beste ist«.

2. Buch
    Amur est plaie dedenz cors
E si ne piert nïent defors;
Ceo est un mal ki lunges tient,
Pur ceo que de Nature vient.
     
    Die Liebe ist eine innere Wunde, die von außen nicht zu erkennen ist. Dies ist ein hartnäckiges Leiden, das uns die Natur zufügt.
    (Aus dem Lai Guigemar )
    D’euls deus fu il tut autresi
Cume del chievrefoil estait
Ki a la codre se perneit
    Mit ihnen war es wie mit dem Geißblatt, das sich an den Haselnussstrauch schmiegt.
    (Aus dem Lai Le Chèvrefeuille )

1. Kapitel
    M arie stand am Fenster und musterte die sanfte Hügellandschaft jener Weinberge, die sich im Umland von Poitiers erstreckten. Drei Flüsse zogen sich durch die Täler und umschlossen die Stadt wie ein kostbares Kleinod. Der Wind trug die Gerüche des Frühlings in ihr Gemach. Hier im Süden duftete er schwer und süß wie Rotwein.
    Aliénor hatte ihren Wohnsitz um den Turm von Maubergeonne errichten lassen, wo einst die Geliebte ihres Großvaters Guillaume untergebracht worden war, und sich dabei jene prächtigen Bauten zum Vorbild genommen, die sie während des Kreuzzugs in Konstantinopel gesehen hatte. Die Räumlichkeiten waren großzügiger als in den Burgen des Nordens und breite Fensteröffnungen konnten jedes Zimmer bei schönem Wetter in eine sonnige Lichtung verwandeln. Während in den kleinen, alten Burgen ein Raum in den nächsten führte, gab es hier zwei Stockwerke mit Korridoren, von denen die Gemächer abgingen, sodass mehr Privatsphäre gewährt wurde. Statt offener Feuerstellen waren Kamine in die Wände eingebaut worden, aus denen der Rauch durch Gänge innerhalb der Mauern abzog und kaum in die Wohnräume drang.
    Marie besaß nun drei Gemächer, darunter einen großen, lichtdurchfluteten Raum, in dem sie ihren Tisch hatte aufstellen lassen, um dort an ihren Geschichten zu schreiben.
Das abendliche Dunkel legte sich spät über die Stadt, und dann standen auch Marie Öllampen zur Verfügung. Es gab eine kleine Kammer, wo sie ihre Bücher und Pergamentrollen aufbewahrte, außerdem ein Schlafgemach für sie und Hawisa. Niemals in ihrem Leben hatte sie über derart viel Platz verfügen können.
    »Ma Dame«, erklang es hinter ihr, und sie wandte sich um. Ein kleiner, stämmiger Mann war unbemerkt eingetreten. »Verzeiht bitte mein Eindringen, aber niemand antwortete mir, als ich klopfte.«
    Marie wurde bewusst, dass sie wieder einmal in Träumereien versunken gewesen sein musste. Sie entschuldigte das unaufgeforderte Eintreten mit einem Lächeln.
    »Das sollen wir Euch bringen«, fuhr der Mann sogleich fort.
    Drei weitere Bedienstete trugen etwas herein, das einem zusammengerollten Teppich glich.
    »Wohin wünscht Ihr den Wandbehang?«
    Als das Bündel ausgerollt wurde, um seine ganze Pracht zu entfalten, erkannte Marie jene Darstellung zweier Damen und eines Einhorns, die sie kürzlich im Empfangssaal des Palastes bewundert hatte.
    »Die Königin meinte, wir sollten das in Euer Gemach bringen«, erklärte der Bedienstete. »Also, wo sollen wir es aufhängen?«
    Marie musste ungewollt lachen. Reichte es nun, dass sie Gefallen an einem schönen Gegenstand fand, um ihn zu bekommen?
    »Ach, einfach dort, nach rechts«, erwiderte Marie und wies auf die erste Wand, die sie erblickte. Die Bediensteten machten sich an die Arbeit. Bald schon erstrahlte die Schönheit der Seidenstickerei in ihrem Gemach. Marie strich über das zarte Gewebe, folgte mit den Fingern den
Umrissen des Einhorns und der Gewänder der Damen. Sie konnte nicht wirklich begreifen, dass ein derartiges Kunstwerk nun ihr gehören

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