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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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hinzuhalten.
    »Mein Leben lang hat man mich bewundert. Nun kann ich nur noch darauf warten, von Jahr zu Jahr hässlicher und unbedeutender zu werden«, murmelte Aliénor, während sie sich das Gesicht abwischte. »Was soll ich nur tun, um das zu ertragen? Warum kann ich nicht einfach sterben?«
    Marie staunte über diesen Anflug von Selbstmitleid. Ihr wurde klar, warum diesmal nur sie allein die Königin in ihre Gemächer hatte begleiten dürfen. Torqueri sollte nicht mitbekommen, was aus der starken Frau geworden war, der sie auf den Kreuzzug gefolgt war, und Emma hätte schon am nächsten Tag dafür gesorgt, dass jeder Stallbursche in dieser
Burg wusste, wie verzweifelt die Königin nach der Begegnung mit der Mätresse ihres Gemahl gewesen war. Stolz erfüllte sie, denn die schöne Dame schenkte ihr genug Vertrauen, um sie als Zeugin ihres Unglücks zu dulden.
    »Hoheit, Ihr wollt also sterben«, sagte sie so spöttisch wie möglich, um Aliénor aufzurütteln. »Eure Willenskraft ist beachtlich, wie ich weiß. Soll ich nach dem Priester rufen, damit er Euch die letzten Sakramente erteilt?«
    Es wirkte. Die Königin richtete sich auf und lächelte endlich wieder.
    »Nein, das will ich natürlich nicht. Ich werde es Henri schon zeigen, wenn es nötig sein sollte«, erklärte sie mit der gewohnten Entschlossenheit. »Und jetzt erzähle mir eine von deinen Geschichten, Marie. Ich brauche ein bisschen Ablenkung.«
    Marie gehorchte, auch wenn es nicht einfach war, ohne vorher aufgeschriebenen Text zu beginnen. Sie schilderte jenen Anfang der Geschichte zweier Liebender, den sie sich vor Kurzem ausgedacht hatte. Unterdessen löste Aliénor ihren Gürtel und streifte sich die seidenen Strümpfe von ihren Füßen. Nachdem sie den Bliaut ebenfalls abgelegt hatte, kroch sie schließlich in ihrer Chemise unter die Decke.
    »Lösch jetzt die Lichter, Marie. Meine Nachthaube brauche ich nicht. Waschen können wir uns morgen.«
    Schnell folgte Marie der Anweisung, dann entkleidete sie sich ebenfalls bis auf die Chemise. Zwar schlief man auch bei Hof gewöhnlich nackt, aber es wäre ihr peinlich gewesen, völlig unbekleidet an der Seite ihrer Königin zu liegen, die sich ebenfalls nicht ausgezogen hatte. Aliénors Atem war ruhig geworden. Marie lauschte in der Stille, wie noch einige Dienstboten vor der Tür vorbeieilten. Obwohl sie es gewohnt war, ihr Bett mit anderen Frauen, vor allem mit Hawisa zu teilen, vermochte sie nun keine Ruhe zu finden,
denn es wühlte sie zu sehr auf, die große Aliénor an ihrer Seite zu wissen.
    Plötzlich legten die schmalen Finger der Königin sich um ihr Handgelenk.
    »Du bist ein nettes Mädchen, Marie. Ich bin sehr froh, dich hierzuhaben.«
    Das Glücksgefühl berauschte Marie für einen Moment, löste ihre Verkrampfung. Danach kam endlich der Schlaf.
     
    Am letzten Tag vor Weihnachten gebar Aliénor einen Sohn, der auf den Namen John getauft wurde. Sie blickte das Kind nur kurz an, murmelte, es sei so hässlich, wie sie befürchtet hatte, und rief nach der Amme, die es pflichtschuldig in Empfang nahm. Marie wurde hereingebeten, sobald die Hebamme verschwunden war. Zusammen mit einem Harfenspieler sollte sie die Königin unterhalten, bis sie sich wieder erheben konnte. Obwohl die meisten Damen sich dafür mindestens eine Woche Zeit nahmen, stand Aliénor bereits nach vier Tagen wieder auf den Beinen, um Boten zu empfangen und Briefe zu diktieren.
    Der Hofstaat zog nach Westminster, und die Königin äußerte auf einmal den ungewohnten Wunsch, ihre Kinder öfter um sich zu haben, wozu sie aber nicht das Neugeborene zu zählen schien. Doch alle anderen sechs Kinder, drei Jungen und drei Mädchen, die Marie bisher nur manchmal im Rittersaal, bei festlichen Anlässen oder Messen zusammen mit ihren Ammen und Erziehern gesehen hatte, wurden zu einem festen Bestandteil des Tagesablaufs. Auch Henry, der Thronfolger, der nach Beckets Verschwinden seinen eigenen Haushalt bekommen hatte, wurde zu seiner Mutter gerufen. Mit ihm kam Marguerite von Frankreich, die zehnjährige Gemahlin des Kronprinzen, die bereits als kleines Kind an den englischen Hof geschickt worden war. Aliénor rief sie
alle in ihre Gemächer, um mit ihnen zu plaudern und sich zu erkundigen, wie sie beim Unterricht vorankamen. Ihre Töchter Matilda und Eleanor sowie die französische Prinzessin strahlten vor Glück, auf einmal so viel Beachtung zu bekommen, und zeigten stolz Stickereien, die Aliénor eher halbherzig lobte. Die gerade

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